Letzte Woche war ich in Holland für die sogenannte Innovative Pig Production Tour, organisiert von holländischen und belgischen Agrarjournalistenkollegen und dem neuen europäischen Verband ENAJ. Die Visite war interessant aber ernüchternd. Innovativ heisst in Holland in erster Linie effizienter und rationeller, Nachhaltigkeit bezieht sich ausschliesslich auf Ökonomie.
Die Tour führte uns durch die südlichen Regionen Brabant und Limburg, wo ein Grossteil der 12 Millionen holländischen Schweine lebt (zum Vergleich: 1,5 Mio. in der Schweiz). Das würde man aber nicht merken, wenn man’s nicht wüsste. Man sieht nichts, hört nichts und riecht (fast) nichts von den Tieren. Klar sind die zahllosen Ställe auffällig, aber es könnte gerade so eine ausgedehnte Gewerbezone sein, die sich über Dutzende wenn nicht hunderte von Quadratkilometern erstreckt, wobei es den Holländern recht gut gelingt, ihre industrielle Tierhaltung mit Alleen, Baumgruppen, Wasserflächen, dekorativen Ponys und gepflegten Backsteinhäuschen zu kaschieren.
Geruchlich ist man weitgehend abgeschottet von den Realitäten, da die Ställe, zumindest die Neueren und das sind die meisten, obligatorisch mit Luftwaschanlagen ausgestattet sein müssen, die nicht nur die Ammoniak- sondern auch die Feinstaubbelastung senken. Die Ställe, die wir besichtigt haben sind auch räumlich weitgehend abgeriegelt von der Aussenwelt. Aus hygienischen Gründen sind Besucher nur sehr restriktiv zugelassen und grössere Besuchergruppen wie die unserige, 25 Personen umfassende, sind logistisch praktisch nicht handlebar, da man vor dem Stallzutritt duschen muss.
Somit ist man auf die Durchblicke von aussen angewiesen. Dazu bieten die 26 fürs Publikum zugelassenen Sichtställe (Zichtstal) Hand, beziehungsweise Auge. Was man da präsentiert bekommt ist nicht schockierend, aber auch nicht erfreulich. Haltung auf absolut minimalem Tierschutzniveau, unstrukturierte Buchten, kaum Beschäftigungsmöglichkeiten und – mit Ausnahme von Betrieben im Promillebereich – keine Einstreu.
Es geht mir nicht darum, die Holländer an den Pranger zu stellen. Ein Grossteil der Schweizer Schweine lebt unter ähnlichen Bedingungen, im EU-Vergleich ist das Haltungsniveau in Brabant, Limburg und Gelderland eher überdurchschnittlich. Was mich frappierte waren die Dimensionen, zwar kannte man die Verhältnisse aus Erzählungen und Fachmedien, aber wenn man dann vor einer Batterie von 90 Meter langen, fensterarmen bzw. -losen Hallen steht und weiss, dass darin Tausende von Schweinen gezeugt, ausgetragen, geboren, gesäugt und gemästet werden, dann ist das schon eindrücklich bis schaudererregend, selbst für einen Abgebrühten wie mich. Economies of scale am lebenden Objekt mit nüchternem Fokus auf Effizienz und Rentabilität – industrielle Landwirtschaft eben. Da leben wir schon noch ein bisschen im Heidiland.
Schlagwörter: Niederlande, Schweine, Schweineproduktion, Zichtstal
Mai 26, 2014 um 6:56 pm
Wenn ich über diese Schweinehaltung in Holland lese, bin ich sehr froh, im Heidiland zu leben…Und all denjenigen, welche billiges Schweinefleisch kaufen, müsste man diesen Beitrag mal zu lesen geben!
Juni 3, 2014 um 2:12 pm
Sieht so die Zukunft zeitgemäßer Tierhaltung aus? Auch in Österreich gibt es da und dort Bestrebungen, neue Ställe für zig Tausende Schweine zu errichten. Da tun sich dann mehrere Bauern zusammen und betreiben gemeinsam einen Stall. Sie sind von der „artgerechten“ Haltung überzeugt, argumentieren damit, dass es diesen Tieren besser ginge als früher den Tieren in kleinen Ställen. Heute gebe es ja Ferkelschutzkörbe, computergesteuerte Fütterung etc..
Glücklicherweise vergeht nicht nur mir beim Anblick solcher Bilder die Lust auf Fleisch.
Juni 15, 2014 um 1:03 pm
Toll, dass Bilder dabei sind, sonst glaubt das ja kein Schwein 😉
Übrigens: habe diesen Blog über http://www.dmoz.org/World/Deutsch/Wirtschaft/Land-_und_Forstwirtschaft/Weblogs/ gefunden
Juli 10, 2014 um 2:02 pm
Danke, Adi! Bitte mehr solche Reportagen über Tierhaltungen im Ausland. Damit man hierzulande sieht, was man alles zu verlieren hat und wohin der Weg geht, wenn wir nicht kämpfen! Ein besseres Argument als Deine Reportage, die fair-food-Initiative der Grünen zu unterstützen, gibt es fast nicht.
Beste Grüsse Hansuli Huber