Letzte Woche habe ich wieder mal den „Blick“ gelesen, und es hat sich gelohnt. Mehr jedenfalls als die Lektüre des Schwesterblatts, die ich mir unterdesssen als Pendler fast allabendlich zumute.
Das Interview mit Hans Jöhr, Head of Agriculture von Nestlé, enthält ein paar aufschlussreiche Aussagen, die zeigen, wie der Multi tickt, und das ist für die Bauern auch in der Schweiz nicht uninteressant.
Hier ein paar markige Worte des 59-jährigen Managers, der aus dem Bernbiet einst nach Brasilien auswanderte, um dort den Traum vom Farmen zu realisieren. Danach machte er den Dr. der Wirtschaftswissenschaften, gründete ein Beratungsbüro und wechselte schliesslich vor 14 Jahren zum Grosskunden der weltweiten Landwirtschaft. Dazu ein paar Kommentare.
Jöhr zur Landwirtschaft im Allgemeinen:
„Ich bin ein Bauersohn und war selber Bauer. So habe ich gelernt, wie viele Fehler man machen kann, wenn man nicht vorsichtig umgeht mit natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser. Wir haben teilweise grosse Fehler gemacht in der Vergangenheit. In vielen Ländern konnten wir aber eine Wende einleiten.“
Das sind bemerkenswert selbstkritische Bemerkungen, die man aus den Teppichetagen von Grossunternehmen selten hört. Allerdings gelingt es Jöhr dann mühelos, die übers Haupt gestreute Asche zu einem Lorbeerkranz zu formen.
Zur Korrektur der Fehler und zur Nachhaltigkeit als Exportschlager:
„Zusammen mit Fritz Häni, dem Vater von IP Suisse, habe ich Richtlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft aufgebaut. Alle haben gesagt, das kostet zu viel und verlangten, dass wir einen Business Case entwickeln. Das haben wir dann getan. Wir haben Danone und Unilever ins Boot geholt und die Plattform für nachhaltige Landwirtschaft gegründet. Heute gehören über 60 der grössten Lebensmittelverarbeiter dazu. Das ist ein Exportschlager für die Schweizer Landwirtschaft. Wir haben die Nachhaltigkeit, die wir bei uns kennen in der ganzen Welt verbreitet.“
Ehrlich gesagt ist mir ein ziemliches Rätsel, wovon Jöhr hier spricht. Dieser Exportschlager ist mir noch nie begegnet und eine „Plattform für nachhaltige Landwirtschaft“ mit dem geschilderten Hintergrund ist zumindestens im Internet nicht aktenkundig. Schade, dass der Blick-Mann hier nicht nachfragte.
Zu Fairtrade:
„Das ist nicht zwingend der richtige Weg. Man muss aufpassen, dass man nicht die Zertifizierer oder den Handel bezahlt, sondern dass das Geld wirklich zu den Bauern kommt.“
Gut gebrüllt, bäuerlicher Löwe, das sind wahre Worte aber würde in diese Aufzählung nicht auch Jöhrs Arbeitgeber gehören? Aber natürlich, wes Nescafé ich trink…
…und weiter auf die Frage, ob das bei Fairtrade nicht der Fall sei:
„Leider nicht unbedingt. Man kann sogar Armut zertifizieren mit solchen Labels.“
Zu den eigenen Handelsbedingungen für die Bauern:
„Letztes Jahr haben wir mit über 300’000 Bauern Ausbildungen gemacht. Das ist kein karitativer Beitrag, sondern wir befähigen die Bauern, bessere Qualität zu liefern. (…) Unter Umständen zahlen wir 30 oder 40 Prozent höhere Preise als der Markt.“
Das gilt allerdings nur für das eine Prozent Nespresso-Kapselkaffeeproduzenten, wie Jöhr etwas weiter unten einräumt. Gerade hier aber ist die Verarbeitermarge derart astronomisch, dass die Differenz zwischen Ladenverkaufspreis und Produzentenpreis etwa 6 mal grösser ist als beim durchschnittlichen konventionellen Kaffeehandel, ungeachtet der 30 bis 40 Prozent Zuschlag, die Jöhr erwähnt.
Zur Illustration die grobe Rechnung:
Nespresso: Füllmenge 5 Gramm pro Kapsel, Kapselpreis 50 Rappen -> Kilopreis Fr. 100.- , Produzentenpreis Fr. 5.60 (Weltmarktpreis von Fr. 4.-/kg plus 40% Zuschlag)). Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 94.40.
Konventioneller Kaffee: Kilopreis Fr. 19.- (Migros, gehobenes Sortiment Caruso), Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 15.-.
Soviel zum Thema Fairtrade bei Nestlé.
Jöhr zum Thema Gentech:
„Es kann ein Werkzeug sein. Wir gehen differenziert vor. Eine Technologie kann Vor- und Nachteile haben. Persönlich habe ich das Gefühl, dass Gentechnologie bereits überholt ist. Sowohl in der Pflanzenzucht wie bei der Tierzucht gibt es heute Methoden mit denen man den Bauern besser helfen kann.“
Das sich Jöhr derart klar distanziert von grüner Gentechnologie ist sehr interessant. Für mich ein klares Indiz, dass die Kosten-/Nutzenrechnung für ein Grossunternehmen mit GVO-Ware nicht aufgeht. Möglicherweise ist diese Aussage einer der Gründe, wieso das Interview sehr schnell wieder runtergenommen wurde bei Blick. Ich habe mich via Twitter beim Boulevardblatt nach der Ursache erkundigt, habe aber nie eine Antwort erhalten:
Schliesslich Jöhr zur biologischen Landwirtschaft:
„Bio kann für die Bauern eine gute Lösung sein, wenn die Konsumenten willens sind, die höheren Preise zu zahlen. In der Schweiz ist das der Fall. Man kann nicht ein Rezept aus der Schweiz oder aus Westeuropa auf die ganze Welt anwenden und sagen, es müsse alles Bio werden. Die biologische Landwirtschaft braucht mehr Ressourcen. Zudem ist sie sehr wissensintensiv, in Ländern mit vielen Analphabeten funktioniert sie nicht.“
Da muss ich nicht nur berufeshalber widersprechen, erstens sagt niemand, es müsse alles Bio werden (mit 50 Prozent wären wir schon recht zufrieden…), zweitens braucht die biologische Landwirtschaft zwar pro Ertrag mehr Ressourcen, geht aber mit diesen so schonend um, dass sie verwendbar bleiben und drittens funktioniert sie bestens mit Analphabeten, wie zahlreiche Produzenten und Projekte in Entwicklungsländern täglich beweisen. Die Aussage von Jöhr zeigt, dass Multis wie Nestlé Anbauvorschriften, die sie nicht selber diktieren, ein Dorn im Auge sind, da sie mit einem gewissen Kontrollverlust über die Bauern einhergehen. Das soll wiederum nicht heissen, dass sie es grundsätzlich schlecht meinen mit den Produzenten, denn die Firma ist auf das bäuerliche Knowhow (auch von Analphabeten) angewiesen, um die Rohstoffversorgung zu sichern, ohne Kaffeeproduzenten nützt die schönste Reklame mit Bräutigam Clooney nichts.