Archive for the ‘Gentechnologie’ Category

Baysanto: ChemiEhe mit hoher Bringschuld

September 25, 2016

mariageNun ist sie also so gut wie amtlich bewilligt, die Multimultimilliarden-Hochzeit zwischen Bayern und Monsanto, beziehungsweise die Adoption des amerikanischen Schmuddelknabens durch die Leverkusener Mutti. Das ist keine Überraschung: Die Ausweitung von Marktmacht durch Konzentration gehört zu den Megatrends in der heutigen Wirtschaft, daran wird auch in diesem Fall das Hüsteln der im Gegensatz zu Braut und Bräutigam national organisierten Wettbewerbsbehörden gar nichts ändern, wie die Erfahrung zeigt.

Der reizende Kommentar

Von dem her nichts Neues im Westen und an sich auch nicht des Bloggens wert. Doch der Kommentar von NZZ-Wirtschaftsredaktor Sergio Aiolfi zum Baysanto-Merger hat mich nun doch zu fest gereizt, um hier nicht wieder einmal in die Tasten zu greifen. Nicht etwa, um den geschätzten Ex-Kollegen zu bashen, sondern weil sein Text exemplarisch zeigt, wie simplifizierend und letztlich naiv heute von Wirtschaftsexperten die Kritik an dieser Fusion und generell am Agieren der Chemie-Grossunternehmen vom Tisch gewischt wird, obschon es angesichts der bisherigen Erfahrungen jenseits der ausgewaschenen Schützengräben von erbitterten Befürwortern und Gegnern mehr als genug Anlass gibt, diesen gigantischen Zusammenschluss kritisch zu hinterfragen.

Aiolfis Kommentar ist typisch für eine Denkschule, die höchstens den Shareholdern, ganz sicher aber nicht den Konsumenten und den Bauern, und zu allerletzt denjenigen in der dritten Welt dient. Es sei hier wieder einmal erwähnt, dass über die Hälfte der Armen auf dieser Welt Bauern sind, denen die finanzielle und technische Basis für einen sicheren Einsatz der Hi-Tech-Chemierezepte fehlt. Aber der Reihe nach. (Den Kommentar übrigens, sollten Sie den oben eingefügten Link nicht nutzen können, habe ich untenstehend in voller Länge eingefügt.)

Tränen der Rührung?

Aiolfi erwähnt zum Auftakt den möglichen Reputationsschaden für das deutsche Unternehmen durch eine Übernahme von Monsanto. Sollen uns nun die Tränen der Rührung kommen, ob des uneigennützigen Einkaufs von Bayer? Als ob irgendjemand von einem der schärfsten Konkurrenten Monsantos eine Imagekorrektur für das rücksichtslose Geschäftsgebahren der Amerikaner (dem Vernehmen nach beschäftigt Monsanto mehr Anwälte als Agronomen) erwarten würde. Bayer ist keine gemeinnützige Gewissensstiftung, sondern ein Unternehmen, das im Bereich von pestizidresistentem GVO-Saatgut gegenüber Monsanto ein grosses Defizit hat und dieses mit dem Zukauf auszugleichen versucht. Monsanto seinerseits verzeichnet ein Vakuum in der Produkte-Pipeline, weil man sich zu lange auf ein einziges Produkt verlassen hat, dessen Patente nun auslaufen.

Dass die Reputation von Monsanto durch den Einsatz seiner Roundup-Kupplungs-Technologie (Verkauf von Herbizid und dagegen resistentem GVO-Saatgut) gelitten hat, ist nicht das Verdienst der „arroganten Bayer- und Monsanto-Kritiker“, sondern weitestgehend selbst verschuldet. Dabei ist der zuweilen schrille Widerstand von NGO und Konsumenten in Westeuropa nur ein Nebenschauplatz. Das Hauptproblem aus agronomischer und damit auch gesellschaftlicher Sicht liegt anderswo.

Mit der Verschmälerung des Saatgut-Angebots auf wenige GVO-resistente Sorten (und damit der vom Kollegen in Abrede gestellten Verminderung der Auswahl für Konsumenten und Landwirte (beim Saatguteinkauf)), förderte Monsanto vor allem im weitherum boomenden Sojaanbau geradezu die Resistenzen von Unkräutern gegen Roundup. Die Folge ist unter anderem der grossflächige Einsatz hochgiftigen Substanzen wie Atrazin oder 2,4-D, welche oft mit Flugzeugen versprüht werden, die dabei ganze Dörfer einnebeln und die Gesundheit der Anwohner permanent gefährden. Das passiert aber nicht etwa in Europa, sondern zum Beispiel in Südamerika, wo mit GVO-Saatgut richtig Geld verdient wird.

Keine Spur von Technologiefeindlichkeit

Aiolfi führt den Widerstand gegen solche Auswüchse auf Technologiefeindlichkeit „der Grünen“ zurück. Wenn er damit die Biobauern und das ihnen wohl gesonnene politische Umfeld meint, dann ist er definitiv auf dem Holzweg. Diese sind nämlich keineswegs technologiefeindlich, sondern vor allem allergisch auf die Vereinnahmung ihrer Produktionsgrundlagen durch Konzerne, welche nicht etwa die komplette Ernährung der Weltbevölkerung anstreben, sondern, wie Aiolfi richtig feststellt, die „konsequente Verfolgung der Interessen der Aktionäre“, die der Kommentator wie leider viele seiner Kollegen mit denjenigen sämtlicher Stakeholder verwechselt oder verwechseln will.

Wollten die Shareholder und damit ihre Firmen nämlich nicht kurzfristigen Profit, sondern tatsächlich eine globale Ausrottung der Unterernährung und der Armut, dann hätten sie den Tatbeweis dafür längstens liefern können. Das ist aber bisher nicht gelungen, deshalb wohl auch die nachvollziehbare Skepsis der Kritiker, dass Baysanto und Konsorten künftig anders zu agieren gedenken. Mit Arroganz hat dies nichts zu tun, eher mit pragmatischer Einschätzung der Lage. Deshalb erübrigt es sich auch, die vorliegende Fusion mit der Ernährung von mutmasslich 2,3 Milliarden Menschen mehr anno 2050 rechtfertigen zu wollen.

Zurück zur von Aiolfi vermuteten „fatalen Technologie-Verteufelung“ durch die „Grünen“. Ich empfehle dem Kommentator statt der x-ten Bilanzmedienkonferenz einen Besuch an einem Bioackerbautag (siehe z.B. Video unten). Dort wird er sehen, dass sich hinter jedem modernen mechanischen Unkrautbekämpfungsgerät Trauben von Bauern und Bäuerinnen (auch konventionellen) scharen, die gespannt auf neue Technologie warten, um dem Unkraut ohne Pestizide Herr zu werden. Die aus ökologischer Überzeugung, ökonomischem Kalkül (bessere Preise für Bioprodukte) oder weil sie den Resistenzen auch mit den neueren, und durchaus umweltverträglicheren synthetischen Pestiziden nicht beikommen.

Grünes Digital Farming

Diese Geräte arbeiten mit modernster Digitaltechnologie, GPS, Lasersensoren, Hi-Tech-Steuerungen etc., eben Digital Farming. Bei deren Entwicklung sind aber nicht die Chemiemultis, sondern vorwiegend KMU führend, welche mit tatkräftiger Unterstützung der Landwirte neues Gerät entwickeln. Selbiges gilt für den biologischen Pflanzenschutz, wo grosse Chemieunternehmen, darunter Bayer, den Braten gerochen haben und Start-Ups gleich reihenweise aufkaufen. Von Technologiefeindlichkeit also keine Spur.

Auch GVO werden übrigens bei den „Grünen“ keineswegs nur im gut-böse-Raster diskutiert, sondern von gewissen Leuten durchaus als Chance gesehen, zum Beispiel, um den dringend nötigen Zuchtfortschritt für krankheitsresistente zu beschleunigen. Der Grund warum diese positiven Stimmen noch in der Minderzahl sind, ist nicht Technologie-Verteufelung sondern hauptsächlich darin zu suchen, dass die Grossunternehmen die Technologie bisher vor allem dafür benutzt haben, ihre Interessen am Markt durchzusetzen.

Zum Glück ist Food ein Politikum

Zum Schluss noch ein Wort zum Thema Food. Aiolfi beklagt sich, dass sich „Slow-Food-Freunde“ und andere Grosskonzern-Kritiker der Ernährung als Politikum annehmen, statt sich widerstandslos verabreichen zu lassen, was eine zunehmend konzentrierte Nahrungsmittelindustrie innoviert („Fast Food als Segen für minderbemittelte Konsumenten“). Die Verdienste der Konzerne um Food-Standards (Hygiene, Convenience etc.) in Ehren, aber dass sich immer mehr Konsumenten und ihre Vertreter das Recht herausnehmen, Fragen zu stellen und über Nahrungsmittel engagiert zu diskutieren und via Auswahl die Produktion zu steuern, ist ein Segen. Dieser Bereich ist zu essentiell und lebensnah, als dass man ihn den Konzernen überlassen könnte. Ein liberaler Geist sollte eigentlich froh sein, wenn die Konsumenten als mündige Wirtschaftssubjekte so Qualitätsförderung betreiben.

Zum Schluss wünsche ich mir, dass mich diese Mega-ChemiEhe positiv überrascht und dass sie bessere Blüten treibt, als das Vorgängermodell. 1954 haben Bayer und Monsanto gemeinsame Firma Mobay gegründet, wie man auf Wikipedia ausführlich nachlesen kann. Das 1992 aufgelöste Unternehmen produzierte unter anderem 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure für den Entlaubungscoktail Agent Orange, den die Amerikaner im Vietnamkrieg verwendeten. Es kann ja eigentlich nur noch besser werden, die Bringschuld ist hoch. (Bild marketwatch.com)

 

Der Kommentar von Sergio Aiolfi in der NZZ vom 17.9.2016:

Proteste gegen den Zusammenschluss von Bayer und Monsanto: Fatale Technologie-Verteufelung
«Höllische Heirat», «tödliche Vereinigung», «Errichtung eines arroganten Imperiums», das unweigerlich im «Ökozid» endet: Umweltschützer und Kritiker aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen lassen an der geplanten Übernahme von Monsanto durch Bayer kein gutes Haar. Mit dieser Transaktion geht das deutsche Pharmaunternehmen nicht nur betriebliche und finanzielle Risiken ein, sondern es nimmt auch einen möglichen Reputationsschaden in Kauf. Der amerikanische Saatguthersteller ist wohl der meistgehasste Multi der Welt. Als dessen neuer Eigentümer läuft der Leverkusener Konzern – seinerseits immer wieder Zielscheibe von Kritikern – Gefahr, die Gegner noch weiter gegen sich aufzubringen. In ihren wütenden Reaktionen prangern diese die angebliche Ballung von Marktmacht an, die mit der Fusion einhergeht; zudem machen sie geltend, dass sich für die Konsumenten damit die Auswahl an Nahrungsmitteln verringern werde. Dass die Wettbewerbsbehörden in den Ländern, in denen Bayer/Monsanto künftig tätig sein wird, Monopolstrukturen kaum tolerieren werden, findet bei den Kritikern keine Erwähnung. Erstaunlich an deren Stellungnahmen ist ohnehin der völlige Mangel an sachlichen Argumenten, die erklären würden, warum die geplante Übernahme denn so verwerflich wäre. Die Aktivisten brüsten sich damit, dafür gesorgt zu haben, dass der Name Monsanto zum Synonym von «Gift» geworden sei. Weitere Erläuterungen erübrigen sich. Angesichts der Tragweite dieser Transaktion ist das sehr dürftig.

Nahrungsmittel als Politikum

Viele der Vorwürfe, denen sich Monsanto ausgesetzt sieht, könnte man auch anderen Firmen machen. Der Konzern ist marktmächtig, gewinnorientiert, global tätig und verfolgt konsequent die Interessen der Aktionäre. Banken, Rohstoffkonzerne und Pharmafirmen tun dies ebenfalls und geraten auch immer wieder in den Strudel der Kritik. Agrar- und Nahrungsmittelunternehmen jedoch scheinen sich für Anprangerungen ganz besonders zu eignen. Dem war nicht immer so. Die Industrialisierung des Essens und des Kochens nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise stiess in der Gesellschaft auf Akzeptanz; sie wurde als Wohltat für die eilige Hausfrau empfunden. Fast Food galt als Segen für minderbemittelte Konsumenten.

Dass Nahrungsmittel heute ein derartiges Politikum sind, hat wohl damit zu tun, dass sie einer Vielzahl von Zeitgeist-Strömungen als Protest-Plattform dienen. Industrie-, Kapitalismus- und Globalisierungskritiker finden hier ebenso Gehör wie Umweltschützer und Slow-Food-Freunde. Im Hintergrund kochen zudem die Agrarmarkt-Protektionisten ihr Süppchen und wirken darauf hin, dass ihre Einflusssphäre von Fremdem verschont bleibt. Ein Unternehmen wie Monsanto ist die ideale Verkörperung all dessen, was diese Fortschrittsskeptiker ablehnen.

Was den Kritikern vor allem in Europa besonders in die Nase sticht, sind die gentechnisch veränderten Organismen (GVO), eine Saatgut-Spezies, zu deren Entwicklung Monsanto wesentlich beigetragen hat. Auch diese Hightech-Agrarprodukte sind zum Symbol für das Böse schlechthin geworden. Sie gelten als Machtinstrumente, um den Bauern die Industrialisierung der Landwirtschaft aufzunötigen, sie in die Abhängigkeit von Konzernen zu zwingen und die Umwelt zu zerstören. Diesem grotesken Zerrbild werden die Segnungen des Biolandbaus gegenübergestellt, welcher der Menschheit auf sanfte Art den Weg zurück zur Natur weist.

Die Gefahr besteht, dass die europäische Sichtweise und der Biolandbau zum Modell für die Lösung der globalen Ernährungsprobleme werden. Ein Fehlschluss.

Ist das tatsächlich die Alternative zur konventionellen Agrartechnologie? Nach den Schätzungen der Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) dürfte die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen angewachsen sein; das sind 2,3 Milliarden mehr als heute. Damit all diese Erdbewohner ernährt werden können, wird die Nahrungsmittelproduktion gegenüber dem jetzigen Stand überproportional gesteigert werden müssen; es ist davon auszugehen, dass mit zunehmendem Wohlstand vorab in Schwellenländern der Kalorienverbrauch pro Kopf zunehmen wird. Die agrarwirtschaftlichen Nutzflächen lassen sich jedoch nicht entsprechend ausweiten, was bedeutet, dass man bestehendes Ackerland intensiver nutzen muss. Gleichzeitig wird man weniger Wasser und weniger Chemikalien einsetzen können.

Mit den Mitteln der Biolandwirtschaft werden sich diese globalen Herausforderungen kaum meistern lassen. Die FAO betont zwar die Bedeutung des organischen Landbaus. Sie hielt jedoch bereits 2007 fest, dass auf Basis dieser Methode die derzeitige Weltbevölkerung nicht ernährt werden könne, von der Zahl künftiger Erdenbürger ganz zu schweigen. Man wird auf Produktivitätsfortschritte angewiesen sein, die unter Einsatz technologischer Neuerungen zu erzielen sind. Und dazu braucht es Firmen wie Bayer, Syngenta, Dow, DuPont, BASF – und nicht zuletzt Monsanto.

Über die Gentechnik hinaus

Auch die GVO gehören, allen Anfeindungen zum Trotz, zu den Mitteln, welche die Produktivität der Landwirtschaft fördern. Trotz allen Verdächtigungen stellen sie für die Konsumenten auch keine Gefahr dar. Bis heute jedenfalls gibt es keinen Nachweis dafür, dass die Organismen zu gesundheitlichen Schäden führen könnten. GVO sind aber auch kein Wundermittel, mit dem sich die Ernährungsprobleme allesamt lösen liessen. Bei Monsanto beging man in früheren Jahren wohl den Fehler, dieser Technologie zu grosse Bedeutung beizumessen und sie als einziges Mittel für eine zukunftsträchtige Gestaltung der Landwirtschaft zu propagieren. Davon ist der Konzern längst abgekommen, was den Kritikern vermutlich entgangen ist.

Eine neuartige, von Monsanto geförderte Agrartechnologie ist beispielsweise das Digital Farming, ein computerisiertes Verfahren, das auf der Verarbeitung von grossen Datenmengen (etwa bezüglich Bodenbeschaffenheit oder Wetterbedingungen) und dem Einsatz von Algorithmen beruht. Dank diesen Informationen können einem Landwirt präzise Anweisungen über Ort und Zeit eines optimalen Saatgut-, Dünger- und Pestizid-Einsatzes gegeben werden. Und aufgrund dieser Informationen lassen sich die mit bestehenden Anbaumethoden erzielten Erträge erhöhen. Die neue Technologie fällt heute umsatzmässig noch wenig ins Gewicht, hat aber beträchtliches Potenzial. Mit deren zunehmender Bedeutung wird sich Monsanto von einem Saatguthersteller allmählich zu einem Dienstleistungsunternehmen wandeln. GVO, der ewige Stein des Anstosses, dürften konzernintern an Bedeutung verlieren – wobei kaum anzunehmen ist, dass sich der Hass auf das Unternehmen deshalb verringern wird.

Die Fundamentalopposition, die einer Firma wie Monsanto entgegenschlägt, hat die verhängnisvolle Folge, dass alle technischen Neuerungen, die von einem Multi ausgehen, generell abgelehnt werden. Im Lager der Grünen hat sich eine Maschinenstürmer-Mentalität breitgemacht, und man gibt sich der Illusion hin, dass die Herausforderungen, die in den nächsten Jahrzehnten anstehen, ohne technische Innovationen und Zusatzleistungen zu bewältigen sein werden. Mit dem Verzicht auf Hightech und GVO ist man in Europa bisher gut zurechtgekommen. Die Gefahr besteht jedoch, dass man diese europäische Sichtweise und die Vorliebe für Biolandbau zum Modell für die Lösung der globalen Ernährungsprobleme emporstilisiert. Das ist ein fataler Fehlschluss. Namentlich Drittwelt- und Schwellenländer sind auf den Einsatz moderner, ertragssteigernder Agrartechnologien angewiesen – und solche Innovationen stammen aus den Labors und Versuchsfeldern der Agrarkonzerne. Diese Bemühungen gilt es nach Kräften zu fördern und nicht zu sabotieren, wie das die arroganten Bayer- und Monsanto-Kritiker tun.

 

Es läuft nicht Round für Glyphosat (& die Bauern?)

April 25, 2015

roundup-ultra-max-5lWie eine Chemiebombe hat Ende März im globalen Hilfsstoff-Business die Nachricht eingeschlagen, dass das Internationale Krebsforschungsinstitut IARC, eine Agentur der WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ („probably carcinogenic“) taxiert hat. Die Aufruhr ist nachvollziehbar: Der Totalherbizid-Wirkstoff ist für Branchenprimus und Erfinder Monsanto (Markenname Roundup) und zahlreiche Nachahmer viel mehr als ein Bestseller.

Glyphosat bildet das Rückgrat einer Strategie, mit der die Industrie in den letzten 20 Jahren Milliarden verdient hat. Die Interaktion mit den gegen Glyphosat resistenten („Roundup-ready“) Kulturpflanzen, namentlich Soja und Mais, ist seit den 1990er Jahren das erfolgreichste Geschäftsmodell der Branche. Es hat beispielsweise auf dem südamerikanischen Kontinent zu einer kompletten Umstrukturierung der Landwirtschaft geführt.

Die tubelisicheren Verdienstmöglichkeiten mit dem flächendeckenden Anbau des Cash-Crops hat die Rinderzucht ebenso verdrängt wie Spezialkulturen. Mit diesen arbeitsintensiven Landwirtschafts-Sektoren kam auch die ländliche Bevölkerung unter Druck, da zehntausende von Jobs verschwanden, das Resultat ist eine verstärkte Landflucht. Diejenigen die blieben tragen die Konsequenzen oft in Form von gesundheitlichen Auswirkungen. Mehr dazu zum Beispiel hier und hier.

Angesichts der starken Abhängigkeit der Firma von Glyphosat-Umsätzen ist es wenig erstaunlich, dass Monsanto mit einem Kommunikationsoffensive auf die Taxierung der IARC reagiert hat, unter anderem mit dieser ziemlich agressiven Mitteilung und einem wahren Twitter-Gewitter. Hauptaussage: Glyphosat ist sicher, das ist dutzendfach wissenschaftlich bestätigt und das IARC hat alte Daten falsch und voreingenommen interpretiert.

Es steht ja auch viel auf dem Spiel für Monsanto, nicht nur in Südafrika und in den USA, sondern auch auf dem europäischen Kontinent, wo Roundup ebenfalls sehr flächendeckend zum Einsatz kommt, sei es als klassisches Herbizid oder zur Abtötung von Getreide zwecks gleichmässiger Abreifung der Körner kurz vor der Ernte. Über den weltweiten Verbrauch gibt es nur Schätzungen, die teilweise eine Million Tonnen jährlich überschreiten. Allein in den USA wurden 2012 128’000 Tonnen eingesetzt, in der Schweiz geht man von rund 300 Tonnen jährlich aus, das ist über ein Drittel des gesamten Herbizidverbrauchs von 800 Tonnen jährlich. Hauptproblem dieses Grosseinsatzes ist neben den möglichen Gesundheitsschäden die Zunahme der Resistenzen gegen das Pestizid. Dieser Artikel spricht von weltweit 32 resistenten Unkräutern. Dies wiederum führt dazu, das in Ländern wie Argentinien alte verpönte Substanzen wie Atrazin und 2,4-D, ein vietnamerprobtes Entlaubungsmittel wieder verstärkt zum Einsatz kommen.

Weltweit haben die Neuigkeiten die Behörden zumindest ansatzweise aufgescheucht, selbst in den ansonsten sehr Pestizidfreundlichen USA warnt die  Umweltbehörde EPA unterdessen vor übermässigem Glyphosat-Einsatz und listet auf, was an Gesundheitsschäden sonst noch so alles droht durch Glyphosat: „Verstopfung der Lunge, Nierenschäden, Fortpflanzungseffekte.“ Nicht sonderlich vertrauenserweckend. Weiter zeigen diverse Studien verheerende Auswirkungen auf die Fauna, zum Beispiel Amphibien.

Was beabsichtigt man zu tun in heimischen Gefilden mit der problematischen Substanz? Vorläufig nichts, es liege erst die Kurzfassung der Studie vor und man kenne deren Grundlage nicht, heisst es beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Nichts gehört zum Thema Glyphosat hat man bisher aus bäuerlichen Kreisen, die den Löwenanteil der 300 Tonnen versprühen. Bei früheren Gelegenheiten, etwa als man vor Jahresfrist von der EAWAG damit konfrontiert wurde, dass Schweizer Oberflächengewässer mit einem „Pestizidcocktail“ dotiert sind hiess es, man müsse vertieft abklären, woher die Rückstände kämen und wie sie in die Flüsse gelangten. Kurze Zeit später betonte man nach einem nationalen Workshop zum Thema Pflanzenschutz, man dürfe diesen „nicht verteufeln“ und begründete den Bedarf mit dem Bedarf nach perfekter Ware in den Läden.

Dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht, ist eine Binsenwahrheit, auch für Biobauern nota bene. Aber es es reicht nicht, beim Bekanntwerden von Umweltschäden und Gesundheitsrisiken durch gewisse Substanzen die Hände in den Schoss zu legen und den Verzicht auf Massnahmen damit zu begründen, dass Konsumenten keine Äpfel mit Schorfflecken essen und dass die Hobbygärtner ebenfalls spritzen. Ich denke, dass es langsam Zeit wäre für ein etwas proaktiverer Umgang der Bauern mit diesem Problem, denn wenn es die Branche nicht selber tut, werden Behörden und Gesetzgeber früher oder später die Zügel anziehen und den Verbrauch von zB. Glyphosat einschränken, wenn nicht gar verbieten (so wie es die Pro Natura bereits fordert). Die Bauern werden dann wieder einmal am Pranger stehen als Umweltverschmutzer, die seit Jahren abwiegeln und nichts unternommen haben.

„Wir haben es satt!“ vs. „Wir machen euch satt!“

Januar 21, 2015

Berlin3Alle Jahre wieder: Dieser Tage steht in Berlin die Grüne Woche auf dem Programm, heuer schon zum 80. Mal. Fast schon ähnlich traditionell ist die Demonstration „Wir haben es satt“, die am vergangenen Samstag ihrerseits das Fünfjährige feiern konnte.

Berlin5Wie in allen Lebensbereichen der aufgeklärten kapitalistischen Gesellschaften ist auch im Demonstrationsbereich Wachstum wichtig. Deshalb schätzten die Organisatoren, eine bunte Koalition von Bioverbänden, Tierschützern, Umweltschutzorganisationen und Freihandelsgegnern die Teilnehmerzahl grosszügig auf 50’000.

Berlin4Das mag etwas hoch gegriffen sein, aber es war nichtsdestotrotz eindrücklich zu sehen, wie viele Leute „es“ satt haben. Das Neutrum steht in erster Linie die Agrarindustrie und daraus primär die Massentierhaltung, die in letzter Zeit in Deutschland arg unter Druck geraten ist. Zur Mobilisierung beigetragen haben neben dem üblichen Grundrauschen von Tierschutzprotesten diverse Skandale (von denen mit Neuland einer auch ein IP-Label betraf), eine etwas gar marktschreierische Artikelserie in der „Zeit“ über multiresistente Keime („Die Rache aus dem Stall“) und das Tierhaltungsverbot gegen den skrupellosen Grossmäster Adrianus Straathof, ja so heisst der leider.

Berlin7Stark empört ist man in Deutschland in weiten Kreisen aber auch über die Verhandlungen zum Abkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), auch weil es die einheimischen Spezialitäten gefährden könnte, wie der Agrarminister kürzlich einräumen musste. Darin sehen viele Deutsche weit über das linke politische Spektrum hinaus einen weiteren Beweis für agrarimperialitische Ambitionen der USA, zu denen auch der weiterhin hohe Druck in Sachen GVO-Saatgut gezählt wird.

Wir haben es sattDass sich auch die Parteien, allen voran die Grünen diese wachsende Volksbewegung zu nutzen machen wollen, versteht sich von selber. Sie marschierten angeführt vom Co-Fraktionschef Hofreiter und Alt-Landwirtschaftsministerin Künast weit vorne in der Demonstration mit. Die Grünen haben als erste politische Formation erkannt, dass der Unmut über den Zustand der Land- und Ernährungswirtschaft weit über den linken Rand des politischen Spektrums hinausreicht. Und haben Erfolg damit. Ein klares Indiz dafür ist, dass mittlerweile nicht weniger als sechs von total 14 Landwirtschaftsministerinnen und -Ministern in den Bundesländern grün sind. Dazu kommen drei SozialdemokratInnen und eine Vertreterin der Linken.

Berlin9Im Nachgang zur Demonstration hat mir eine deutsche Kollegin verdankenswerterweise Zutritt zu einer gut gesicherten Veranstaltung der Grünen im eindrücklichen Parlamentarierbürogebäude Paul-Löbe-Haus verschafft. Dort wurde das Thema „Fleisch für die Welt?“ debattiert. Am Pranger standen in Reden und Workshops nicht nur die Billigexporte von Fleisch nach China und – derzeit aus politischen Gründen unterbunden – nach Russland. „Die Land- und Ernährungswirtschaft ist die einzige im Land, die es sich leisten kann teuer zu importieren (z.B. Bioprodukte) und billig zu exportieren“, sagte der Biolandwirt und Landwirtschaftssprecher der grünen Fraktion, Ostendorff. So etwas, ergänzte er, wäre in jedem anderen Sektor undenkbar.

Wir machen euch satt3In der Tat sind die Verhältnisse recht drastisch. Trotz den kriselnden Exportanstrengungen sind die Preise etwa für Schweinefleisch derzeit tief im Keller, für das Kilo Schlachtgewicht erhält der deutsche Mäster bei konstanten oder steigenden Futterpreisen noch 1.25 Euro, vor Jahresfrist lag dieser noch bei ebenfalls schon knapp kostendeckenden 1.80. Ähnlich prekär ist die Lage bei der Milch, wo derzeit flächendeckend unter 30 Cent pro Liter ausgezahlt werden. Hier droht mit der Aufhebung der EU-Milchquote per 1. April eine weitere starke Zunahme des Preisdrucks. Grossen Anteil an diesen Verhältnissen hat in Deutschland auch der auf Discount fixierte Detailhandel, wo Milch und Fleisch zu Schleuderpreisen über die Theke gehen. Er könne nicht verstehen, wieso sich die Bauern von der Agrarindustrie derart vor sich hinschieben liessen, sagte der ebenfalls anwesenden Biobauer und grüne nordrhein-westfälischen Landestagsabgeordneten mit dem markanten Namen Norwich Rüsse.

Wir machen euch satt1Das ist eine durchaus legitime Frage. Sie richtet sich an die konventionellen Grossmäster und -milchproduzenten, die in den letzten Jahren unter starkem ökonomischem Druck und gemäss dem Motto „wachse oder weiche“ massiv investiert und haben. Diese sind aber keineswegs bereit, die Grünen als Kampfgenossen zu akzeptieren. Stattdessen sind sie unter dem Leitspruch „Wir machen euch satt!“ schon am Samstagvormittag zu einer eigenen Demo aufmarschiert, um sich gegen die ihrer Meinung nach unsachliche und -qualifizierte Meinungsmache gegen die moderne Tierhaltung zu wehren.

Sie gehen nämlich nicht zu Unrecht davon aus, dass sie für eine Mehrheit der Bevölkerung weiterhin nachfragegerecht produzieren, auch wenn Politik und Medien jetzt grobes Geschütz auffahren. In der Tat machen nämlich 50’000 „Schwalben“ vor dem Kanzleramt im Kampf gegen die Agrarindustrie noch keinen ökologischen Sommer. Otto und Ottilie Normalverbraucher im nördlichen Nachbarland betrachten billige Nahrungsmittel und vor allem Fleisch nach wie vor als Menschenrecht. Ansonsten wären die Discounter längst eingegangen. Wie dünn das politische Eis für ernährungstechnische Bevormundung ist, mussten die Grünen unlängst am eigenen Leib erfahren. Der nicht sonderlich radikale Vorschlag eines „Veggiedays“ in deutschen Kantinen brachte ihnen harsche Kritik und mutmasslich umfangreiche Stimmenverluste ein. Im vergangenen Herbst wurde die Idee des fleischlosen Tages dann ziemlich sang- und klanglos wieder begraben, beziehungsweise schlecht verdaut ausgeschieden. (Unterste zwei Bilder: Tatjana Kren, Video: Thomas Wengenroth/stallbesuch.de)

Was im Nestlé alles so ausgebrütet wird

Oktober 23, 2014

L1010109Letzte Woche habe ich wieder mal den „Blick“ gelesen, und es hat sich gelohnt. Mehr jedenfalls als die Lektüre des Schwesterblatts, die ich mir unterdesssen als Pendler fast allabendlich zumute.

Das Interview mit Hans Jöhr, Head of Agriculture von Nestlé, enthält ein paar aufschlussreiche Aussagen, die zeigen, wie der Multi tickt, und das ist für die Bauern auch in der Schweiz nicht uninteressant.

Hier ein paar markige Worte des 59-jährigen Managers, der aus dem Bernbiet einst nach Brasilien auswanderte, um dort den Traum vom Farmen zu realisieren. Danach machte er den Dr. der Wirtschaftswissenschaften, gründete ein Beratungsbüro und wechselte schliesslich vor 14 Jahren zum Grosskunden der weltweiten Landwirtschaft. Dazu ein paar Kommentare.

Jöhr zur Landwirtschaft im Allgemeinen:
„Ich bin ein Bauersohn und war selber Bauer. So habe ich gelernt, wie viele Fehler man machen kann, wenn man nicht vorsichtig umgeht mit natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser. Wir haben teilweise grosse Fehler gemacht in der Vergangenheit. In vielen Ländern konnten wir aber eine Wende einleiten.“

Das sind bemerkenswert selbstkritische Bemerkungen, die man aus den Teppichetagen von Grossunternehmen selten hört. Allerdings gelingt es Jöhr dann mühelos, die übers Haupt gestreute Asche zu einem Lorbeerkranz zu formen.

Zur Korrektur der Fehler und zur Nachhaltigkeit als Exportschlager:
„Zusammen mit Fritz Häni, dem Vater von IP Suisse, habe ich Richtlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft aufgebaut. Alle haben gesagt, das kostet zu viel und verlangten, dass wir einen Business Case entwickeln. Das haben wir dann getan. Wir haben Danone und Unilever ins Boot geholt und die Plattform für nachhaltige Landwirtschaft gegründet. Heute gehören über 60 der grössten Lebensmittelverarbeiter dazu. Das ist ein Exportschlager für die Schweizer Landwirtschaft. Wir haben die Nachhaltigkeit, die wir bei uns kennen in der ganzen Welt verbreitet.“

Ehrlich gesagt ist mir ein ziemliches Rätsel, wovon Jöhr hier spricht. Dieser Exportschlager ist mir noch nie begegnet und eine „Plattform für nachhaltige Landwirtschaft“ mit dem geschilderten Hintergrund ist zumindestens im Internet nicht aktenkundig. Schade, dass der Blick-Mann hier nicht nachfragte.

Zu Fairtrade:
„Das ist nicht zwingend der richtige Weg. Man muss aufpassen, dass man nicht die Zertifizierer oder den Handel bezahlt, sondern dass das Geld wirklich zu den Bauern kommt.“

Gut gebrüllt, bäuerlicher Löwe, das sind wahre Worte aber würde in diese Aufzählung nicht auch Jöhrs Arbeitgeber gehören? Aber natürlich, wes Nescafé ich trink…

…und weiter auf die Frage, ob das bei Fairtrade nicht der Fall sei:
„Leider nicht unbedingt. Man kann sogar Armut zertifizieren mit solchen Labels.“

Zu den eigenen Handelsbedingungen für die Bauern:
„Letztes Jahr haben wir mit über 300’000 Bauern Ausbildungen gemacht. Das ist kein karitativer Beitrag, sondern wir befähigen die Bauern, bessere Qualität zu liefern. (…) Unter Umständen zahlen wir 30 oder 40 Prozent höhere Preise als der Markt.“

Das gilt allerdings nur für das eine Prozent Nespresso-Kapselkaffeeproduzenten, wie Jöhr etwas weiter unten einräumt. Gerade hier aber ist die Verarbeitermarge derart astronomisch, dass die Differenz zwischen Ladenverkaufspreis und Produzentenpreis etwa 6 mal grösser ist als beim durchschnittlichen konventionellen Kaffeehandel, ungeachtet der 30 bis 40 Prozent Zuschlag, die Jöhr erwähnt.
Zur Illustration die grobe Rechnung:
Nespresso: Füllmenge 5 Gramm pro Kapsel, Kapselpreis 50 Rappen -> Kilopreis Fr. 100.- , Produzentenpreis Fr. 5.60 (Weltmarktpreis von Fr. 4.-/kg plus 40% Zuschlag)). Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 94.40.
Konventioneller Kaffee: Kilopreis Fr. 19.- (Migros, gehobenes Sortiment Caruso), Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 15.-.
Soviel zum Thema Fairtrade bei Nestlé.

Jöhr zum Thema Gentech:
„Es kann ein Werkzeug sein. Wir gehen differenziert vor. Eine Technologie kann Vor- und Nachteile haben. Persönlich habe ich das Gefühl, dass Gentechnologie bereits überholt ist. Sowohl in der Pflanzenzucht wie bei der Tierzucht gibt es heute Methoden mit denen man den Bauern besser helfen kann.“

Das sich Jöhr derart klar distanziert von grüner Gentechnologie ist sehr interessant. Für mich ein klares Indiz, dass die Kosten-/Nutzenrechnung für ein Grossunternehmen mit GVO-Ware nicht aufgeht. Möglicherweise ist diese Aussage einer der Gründe, wieso das Interview sehr schnell wieder runtergenommen wurde bei Blick. Ich habe mich via Twitter beim Boulevardblatt nach der Ursache erkundigt, habe aber nie eine Antwort erhalten:

Schliesslich Jöhr zur biologischen Landwirtschaft:
„Bio kann für die Bauern eine gute Lösung sein, wenn die Konsumenten willens sind, die höheren Preise zu zahlen. In der Schweiz ist das der Fall. Man kann nicht ein Rezept aus der Schweiz oder aus Westeuropa auf die ganze Welt anwenden und sagen, es müsse alles Bio werden. Die biologische Landwirtschaft braucht mehr Ressourcen. Zudem ist sie sehr wissensintensiv, in Ländern mit vielen Analphabeten funktioniert sie nicht.“

Da muss ich nicht nur berufeshalber widersprechen, erstens sagt niemand, es müsse alles Bio werden (mit 50 Prozent wären wir schon recht zufrieden…), zweitens braucht die biologische Landwirtschaft zwar pro Ertrag mehr Ressourcen, geht aber mit diesen so schonend um, dass sie verwendbar bleiben und drittens funktioniert sie bestens mit Analphabeten, wie zahlreiche Produzenten und Projekte in Entwicklungsländern täglich beweisen. Die Aussage von Jöhr zeigt, dass Multis wie Nestlé Anbauvorschriften, die sie nicht selber diktieren, ein Dorn im Auge sind, da sie mit einem gewissen Kontrollverlust über die Bauern einhergehen. Das soll wiederum nicht heissen, dass sie es grundsätzlich schlecht meinen mit den Produzenten, denn die Firma ist auf das bäuerliche Knowhow (auch von Analphabeten) angewiesen, um die Rohstoffversorgung zu sichern, ohne Kaffeeproduzenten nützt die schönste Reklame mit Bräutigam Clooney nichts.

 

Feuerbrandresistenz: Eine Gala für GVO?

März 17, 2014

Feuerbrand lidGrüne Gentechnologie hat auch schon schlechter ausgesehen: Letzte Woche hat die ETH Zürich gemeinsam mit dem deutschen Julius-Kühn-Institut eine Erfolgsmeldung verbreitet: Einem Team um den Forscher Cesare Gessler sei es gelungen, Gala, dem Darling der ApfelesserInnen, ein Gen einzupflanzen, das diesen resistent macht gegen den Feuerbrand, eine gefürchtete Bakterienkrankheit im Kernobstbau.

In einer Mitteilung erklärt die ETH, das Team habe mit Cis-Gentechnik gearbeitet und der Gala ein Gen eines Wildapfels eingepflanzt. Die Trans-Gentechnik dagegen arbeitet mit artfremden Genen, ein Beispiel dafür ist BT-Mais, hier wurde der Pflanze das Gen eines Bazillus einverleibt. Das eine Cis-Gen reiche aus, so heisst es in der Mitteilung der ETH, um den Apfelbaum vor dem Feuerbrand zu schützen. Mit derselben Methode war es demselben Team vor einigen Jahren gelungen, Gala eine Schorfresistenz einzubauen.

Gessler_CesareGessler ist einer der Hoffnungsträger der GVO-Promotoren. Nicht nur weil er als jovialer Wollpullover- und Bartträger so gar nicht ins Feindbild der GVO-Kritiker passen will, sondern auch, weil seine Forschung bis in die Biobranche hinein als positives Andwendungsbeispiel für die ansonsten verpönte grüne Gentechnik gilt. Das ist nicht mal falsch: Die Technologie hilft Gessler und seinen Leuten, Zeit zu sparen. Mit Cis-Gentechnik bleibt ihm die mühselige und langwierige Einkreuzung des Wildapfels in die Gala erspart. Da keine artfremden Gene eingekreuzt werden wird man auch kaum von Frankensteinfood sprechen wollen, wie das Gentechnkritiker oft und gerne tun.

Trotzdem ist es ein bisschen verfrüht, jetzt den virtuellen Hut vor Gesslers Werk zu ziehen und sich vor dem Wunder der Gentechnik zu verneigen. Gessler relativiert in der ETH-Mitteilung gleich selbst: Die Stimmung in der Schweiz sei zu gentechkritisch, um an einen Anbau überhaupt zu denken, meint er mit Blick auf das nach wie vor geltende Anbaumoratorium in der Schweiz sinngemäss. Das ist aber nicht das einzige Problem. Auch sein Produkt ist noch weit entfernt von Praxisreife: Die Resistenz funktionierte zwar im Treibhaus, was aber noch lange nicht heisst, dass das auch im Feld der Fall sein wird. Zudem warnt er gleich selber vor einem Resistenzdurchbruch. Mit nur einem einzigen Resistenzgen ist ein solcher in der Tat wahrscheinlich, weitere Resistenzgene sollen deshalb folgen, man darf gespannt sein, ob dies der Agroscope gelingen wird, die Gesslers Werk nach dessen Pensionierung fortsetzen will.

Im weiteren besteht keinerlei Grund, aufgrund von Gesslers Arbeit, die Kritik an der vorherrschenden Anwendung von grüner Gentechnik zu mildern. Konservativ geschätzte 95 Prozent des Marktes werden von einer Handvoll Saatgut- und Pesitzidmultis beherrscht, welche mit herbizid- und insektenresistenten Pflanzen als Hebel die Märkte monopolisieren. Und das ist das deutlich grössere Problem als mögliche Auskreuzungen. Darüber darf man sich auch durch Gesslers Feigen- oder besser Apfelblaumblatt nicht hinwegtäuschen lassen. (Bild LID/Sebastian Stabinger)

„Glyphosat macht Baby tot.“ Ja, das darf man

November 1, 2013

Glyphosat-BabyNach den Ferkeln kürzlich nochmal kurz nach Deutschland: Auch die bäuerliche Szene kann Shitstorm. Seit etwa zwei Tagen tobt auf Twitter und Youtube, in Zeitungen und auf Lobbyportalen agrarische Empörung.  Auslöser ist ein Video des deutschen Bundes für Umwelt und Naturschutz (kurz Bund). Mit diesem Filmchen (oben ein Still unten das Video) illustriert die NGO eine neue Kampagne unter dem Titel „Pestizide. Hergestellt um zu töten„. Im Visier hat Bund dabei primär Glyphosat (besser bekannt unter dem Monsanto-Markennamen Roundup).  Mit der Kampagne will der Bund erreichen, dass der Einsatz von Glyphosat in Hausgärten und die sogenannte Sikkation auf Bundesebene verboten werden. Dabei handelt es sich um die Behandlung von Kulturen kurz vor der Ernte, um so die Abreife zu beschleunigen.

Das Video ist keine Minute lang und zeigt kurz zusammengefasst, wie halb in der Erde eingegrabene Babys zuerst fröhlich mit Dreck und Stecklein spielen, nur um kurz darauf nach drohendem Grollen von einem Sprühflugzeug überflogen und eingenebelt zu werden. Dann der Titel der Kampagne: Pestizide. Hergestellt um zu töten.

Ist das geschmacklos? Ja, indirekt wirft der Bund den Bauern vor, mit ihren Praktiken Babys zu töten. Das ist ein ziemlich starkes Stück, ist doch bis heute ein fundierter Beweis noch ausstehend, dass Glyphosat effektiv Embryonen schädigt. Soweit ich im Bild bin, setzt die Mehrheit der Landwirte Pestizide so ein, dass sie damit weder sich selber noch die Umwelt schädigen, oder sie streben dies zumindest an. Zudem darf man dem Bund und den pestizidkritischen Konsumenten getrost unter die Nase reiben, dass eine Lebensmittelproduktion ohne Pestizide teurer ist. Und dass trotz dem Vorhandensein der Alternative, nämlich Bio, nur eine mickrige Minderheit bereit ist, mehr zu zahlen, um die eigenen Babys zu schützen. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch, dass selbst in Bio-Kreisen umstritten ist, ob es möglich wäre, die Welt mit Bio alleine zu ernähren.

Darf man trotzdem eine solche Kampagne machen? Ja, klar. Solange es der Industrie erlaubt ist, mit verharmlosender Propaganda so zu tun, als ob der Profit das nebensächlichste der Welt wäre (wie zum Beispiel hier) und als ob sie stattdessen prioritär die Welt retten und umfassend ernähren möchte, wird es auch einer NGO noch erlaubt sein, polemische PR zu betreiben. Ganz argumentenfrei steht der Bund nämlich keineswegs da, (obwohl man natürlich der Gerechtigkeit halber erwähnen muss, dass auch der Bund Geld verdienen muss, um seine Geschäftsstelle und Kampagnen zu finanzieren). Eine kürzliche Untersuchung des Verbands hat gezeigt, dass 70 Prozent der Urinproben von Konsumenten aus 18 europäischen Städten Glyphosat enthalten. Zudem gibt es zweifelsfrei Probleme mit dem massierten Einsatz des Produkts, vor allem in den Weltgegenden, wo es flächendeckend zum Einsatz kommt, zum Beispiel in Argentinien, wo sich ganze Dörfer im Protest gegen die rücksichtslose Applikation von Glyphosat aus der Luft wehren. Die Pueblos Fumigados (gespritzte Dörfer) sind zu einer kraftvollen Bewegung geworden, die auf dem besten Weg sind, Erfolge zu erringen, zum Beispiel grössere Sicherheitsabstände zwischen bewohnten Gegenden und gespritztem Kulturland. Diese Terraingewinne wurden nur möglich wegen offensichtlicher Zunahme von Gesundheitsschädigungen, zum Beispiel diverse Krebstypen und Fehlgeburten. Daran sind auch wir hier mitbeteiligt, gehört Europa doch zu den grossen Abnehmern lateinamerikanischer Soja.

Also, liebe empörte Bauern und Industrievertreter, nach Abebben der grössten Aufregung empfehle ich, die Energie für die Verminderung und die Verbesserung des Pestizideinsatzes sowie für den Ersatz der Importsoja durch einheimische Eiweissträger einzusetzen (gilt übrigens für die Schweizer Branche genauso). Das Video des Bund wird Euch vorkommen wie ein mildes Herbst-Lüftchen gegenüber dem Orkan, der sich erheben wird, sobald die erste Missbildung eines Embryos durch Glyphosat wissenschaftlich belegt ist.

CMS und andere dynamische Fragen für Bio

Oktober 13, 2013

BabybreiVor Wochenfrist ist wieder einmal ein kleinerer Landwirtschaftsskandal ausgebrochen. Er betraf diesmal die Bioszene, der ich ja seit einiger Zeit nun auch angehöre. Die ZDF-Sendung Wiso, eine Art deutscher „Kassensturz“ hat aufgedeckt, dass im Bio-Babybrei von Demeter und Hipp Broccoli aus CMS-Züchtung verwendet wurden.

Diese Cytoplasmatische Männliche Sterilität ist ein natürlich vorkommendes Phänomen, das Züchtern und Produzenten hilft, Aussehen und Gleichförmigkeit von Gemüse zu verbessern. Nur wenige Pflanzen wie zum Beispiel die Sonnenblume haben diese Gabe von der Natur erhalten. Einigen anderen wird nachgeholfen, vor allem Kohlgewächse. Bei der Zucht wird nur an der Zelle, nicht aber im Kern manipuliert. Deshalb ist CMS ein Gentech-Grenzgängerin. Die Bioverordnungen in der EU lassen sie trotz Gentech-Verbot zu. Gewisse Produzenten-Verbände haben CMS aber verboten, darunter auch Demeter weltweit, (was die Funde im Brei erst zum Aufreger werden liess), während etwa Bio Suisse die Technologie zulässt.

Dort begründet man die Haltung mit der mangelnden Verfügbarkeit von CMS-freiem Saat-und Setzgut. Dieses Problem scheinen trotz Verbot auch die Demeter-Produzenten zu haben, wie das Exempel zeigt. Deshalb könnte man die Wiso-Recherche vermutlich mit ähnlichen Resultaten in der Schweiz durchführen, hoffen wir, dass niemand auf die Idee kommt.

Wobei, vielleicht wäre das gar kein so grosses Drama. Denn der Biolandbau muss sich mit Verfahren wie CMS intensiv auseinandersetzen. Er muss sich stetig modernisieren, um seinen hoffentlich steigenden Anteil an der Ernährung der steigenden Weltbevölkerung zu leisten, da gehe ich mit meinem Chef einig. Heute ist es so, dass Biobetriebe in vielen Bereichen auf dieselbe Faktorinputs angewiesen sind, wie ihre konventionellen Pendants. In den grossen Gemüsegärten wachsen die gleichen Sorten, auf den Weiden grasen die gleichen Rassen und bei der Verarbeitung werden die gleichen Methoden verwendet; man denke etwa an die UHT-Milch, deren Einführung zu einigem Aufruhr sorgte und namentlich bei vielen Bio-Pionieren die Milch sauer werden liess.

Dass es für kompetitive Biobetriebe keine Alternative zu konventionellen Inputs gibt hat einerseits damit zu tun, dass der Biokuchen noch zu klein ist, um seine eigenen Zutaten zu produzieren, so dass sie zu vernünftigen Preisen Praxisreife erlangen. Von den weltweit eingesetzten Forschungsgeldern geht nur ein Miniatur-Tränchchen in diejenige für besonders nachhaltige oder umweltschonende Methoden, es sei denn dort, wo sich eines der Agrochemie-Grossunternehmen einen saftigen Gewinn verspricht, was dann allerdings gleich wieder die Nachhaltigkeit in Frage stellt.

Andererseits ist der Anteil an Konsumenten, die Bioware so konsumieren, wie sie die Pioniere am liebsten liefern würden (Rohmilch, Fleisch vom Suppenhuhn, Gemüse ohne schönes Exterieur aber chüschtig), sehr beschränkt. Wohl oder übel muss Bio die ästhetischen Ansprüche des konventionellen Marktes erfüllen, um das Kundensegment auszubauen.

Ich will jetzt hier nicht den bedingungslos Technikgläubigen markieren. Meine Skepsis gegen Gentechnologie ist gross und ich finde es begrüssenswert, wenn Demeter als „verschärftes“ Biolabel für noch bewusstere Konsumenten grenzwertige Verfahren ausschliesst. CMS zeigt aber auf, dass das ganze eine Gratwanderung ist. Man sollte den Kopf nur zum Fenster rausstrecken, wenn man garantiert auf der sicheren Seite ist, sonst ist der drohende Imageschaden grösser, als der Gewinn, der durch ein Verbot einer Technologie resultiert, für die noch keine ausreichenden Bio-Alternativen bestehen. Ihr Vorhandensein alleine reicht nicht, sie müssen auch flächendeckend angewandt werden.

Syngentas grünes Mäntelchen und was drunter ist

September 21, 2013


Diese Woche hat Syngenta ihren „Good Growth Plan“ vorgestellt. Der Papier liest sich wunderbar und im Video mit viel schönem Bildmaterial und Verbalpathos von Seiten des CEO Mike Mack, wird das reich dekorierte grüne Mäntelchen auch optisch leicht tragbar präsentiert (siehe Video oben). Hier die sechs Punkte des Plans:

  1. Nutzpflanzen effizienter machen: Die durchschnittliche Produktivität der weltweit wichtigsten Nutzpflanzen um 20 Prozent steigern, ohne mehr Ackerland, Wasser oder andere Ressourcen einzusetzen
  2. Mehr Ackerland bewahren: Die Fruchtbarkeit von 10 Millionen Hektar degradiertem Ackerland verbessern
  3. Biodiversität fördern: Die Artenvielfalt auf 5 Millionen Hektar Ackerland erhöhen
  4. Kleinbauern Hilfe zur Selbsthilfe bieten: 20 Millionen Kleinbauern erreichen und sie befähigen, ihre Produktivität um 50 Prozent zu steigern
  5. Gute Arbeitsschutzpraktiken vermitteln: 20 Millionen Feldarbeiter in Arbeitssicherheit schulen, insbesondere in den Entwicklungsländern
  6. Engagement für jeden Arbeiter: Auf faire Arbeitsbedingungen im gesamten Netzwerk unserer Lieferkette hinarbeiten

Ich bin immer skeptisch, wenn die Saatgut- und Pestizidmultis plötzlich ihre umwelt- und menschenfreundliche Ader entdecken. Aber überlassen wir das Wort doch noch einmal Mike Mack. Im untenstehenden Video kommentiert er während einer guten Viertelstunde das Jahresergebnis 2012. In dieser Zeit hört man nichts vom oben erwähnten Feuerwerk der Nachhaltigkeit. Hier geht es um Dividend, Balance Sheet, Market Shares, Aquisitions, Price Opportunities, Strategic Crops, und vor allem Percent, Percent, Percent und davor natürlich immer ein Plus.

Das ist nicht erstaunlich, ist doch das Schicksal des Managers primär abhängig vom Jahresergebnis und vom erwirtschafteten Shareholdervalue. Die Bauern und Landarbeiter als wichtigste Stakeholder, die man ja angeblich stärken will, sind für Syngenta, wenn man Mack zuhört, nur als Umsatzgeneratoren interessant, und das heisst dann, wenn sie eingebunden sind in die integrierten Systeme (ein anderer wichtiger Terminus aus dem unteren Video) von Syngenta. Von den Problemen, die der Monokulturanbau der strategischen Pflanzen zur Folge hat, zum Beispiel Erosion oder Superunkräuter, die gegen die Pestizidresistenz erwachsen, hört man von Mack nichts. 

Man verstehe mich nicht falsch. Ich weiss, dass Syngenta keine karitative Organisation ist. Man will Geld verdienen – das ist zurecht nicht verboten -, aber letztlich spielt es keine Rolle, was die Flurschäden sind, solange es das Unternehmen direkt oder indirekt nichts kostet. Dafür ist neben der Strategie auch das Image entscheidend. Mein Fazit nach Konsum der kommunizierten Inhalte und der beiden Videos: Dessen Politur ist das einzige Ansinnen hinter dem „Good Growth Plan“. Das ist mager. Ich würde gerne Taten zugunsten der Nachhaltigkeit sehen, die ihre Spuren im Jahresergebnis hinterlassen, das würde die Glaubwürdigkeit des Plans massiv erhöhen. 

Agrentina (5 & Schluss): Treibstoff SoJa, aber…

September 8, 2013

Soja-Biodieselanlage bei RosarioDas mit Sicherheit meistkommunizierte Wort während des nun schon wieder der Geschichte angehörenden IFAJ-Kongresses in Argentinien war Soja. Die Leguminose ist für die argentinische Wirtschaft zum Treibstoff geworden, und dies nicht nur im übertragenen Sinn. Argentinien produziert 60 Prozent des weltweit aus Soja hergestellten Biodiesels.

In diesen Kanal fliesst aber nur ein geringer Teil der Produktion, die in den letzten zwanzig Jahren um 400 Prozent auf eine Fläche von 20 Millionen Hektaren ausgedehnt wurde. Das sind 200 000 Quadratkilometer, die fünffache Fläche der Schweiz. Selbst argentinische Soja-Lobbyisten, von denen wir in den vier Kongresstagen mindestens ein halbes Dutzend trafen, sprechen von einer Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit hat verschiedene Dimensionen: agronomische, wirtschaftliche, staatspolitische und soziale.

Die Landwirtschaft in den klimatisch und bodentechnisch besten Gebieten in der feuchten Pampa ist in den letzten knapp zwei Jahrzehnten vollständig auf die Sojabohne ausgerichtet worden. Der Boom basiert auf der etwa gleich alten GVO-Kombination von Sojasaatgut mit einer Herbizidresistenz für Glyphosat, das unter dem Monsanto-Markenname Roundup Berühmtheit erlangte. Dank dieser Wunderwaffe war es möglich mit bodenschonender pflugloser Bearbeitung den Unkrautdruck im Griff zu behalten und in Monokultur voll auf Soja zu setzen. Das hat dazu geführt, das nicht nur die Viehhaltung, sondern auch der arbeitsintensivere Mais- und Weizenanbau teilweise verdrängt wurden (siehe dazu den letzten Blogbeitrag und die ausgezeichnete Zusammenfassung von David Eppenberger auf der Homepage der Schweizer Agrarjournalisten).

Wie ich im letzten Beitrag ebenfalls bereits beschrieben habe, will auch der marode Staat am Boom teilhaben. Die 35 Prozent Exportsteuer sind Ausdruck dieses Begehrens. Dadurch macht er sich seinerseits abhängig von der Soja, die unterdessen zum wichtigsten Exportgut des Landes geworden ist. Sollte das Geschäft eines Tages zusammenbrechen, aus welchen Gründen auch immer, beschert ihm das Verdienstausfälle von gigantischer Dimension, die sich so leicht aus anderen Quellen nicht kompensieren lassen werden.

Gewerkschaftsführer und Parlamentarier in spe: "Momo" Venegas Schliesslich hat der Sojaanbau zu einer Verschiebung im Sozialgefüge des Landes geführt. Wie uns der Gewerkschaftsführer der Landarbeiter, Geronimo „Momo“ Venegas (Bild rechts) anlässlich des Kongresses erklärte, haben Tausende von Landarbeitern durch die Verschiebungen ihre Arbeit verloren. Allein in der Gegend von San Pedro, wo wir uns versammelt hatten, seien 8000 von 10000 Hektaren mit Fruchtbäumen verschwunden. Auf unsere Frage, ob er damit die Sojaindustrie kritisiere, verneinte er dann hingegen vehement. Offenbar gibt es in der argentinischen Landwirtschaft so etwas wie eine Omerta in Sachen Kritik am Sojasektor, weil alle irgendwie abhängig sind von diesem Segen. Venegas seinerseits möchte im Oktober gerne ins Parlament gewählt werden (Werbespruch „Pura Sangre Peronista“, „pures Peronistenblut“) und ist dabei wohl dringend auf alle Stimmen aus der Landwirtschaft angewiesen.

Die sozialen Auswirkungen des Sojaanbaus sieht man übrigens exemplarisch an den Stadträndern (siehe Bild unten aus Rosario), wo joblose Landarbeiter in prekären Behausungen siedeln und versuchen, sich das Leben im urbanen Millieu zu verdienen.

Faktisch ist der mit Abstand wichtigste Sektor von Argentiniens Landwirtschaft also komplett abhängig von der Glyphosat-Resistenz der GVO-Soja. Sollte dieser auf breiter Basis durchbrochen werden, wird’s prekär. Ich fragte einen der euphorischen Soja-Promotoren am Kongress, ob diese Strategie nicht enorme Risiken für das Land berge. Er verneinte und sprach stattdessen von den nächsten GVO-Sorten, die neben der Herbizidresistenz auch ernährungsphysiologischen Segen bringen würden, etwa Omega-3-Fettsäuren und ähnliches. Womit das Problem allerdings nicht gelöst würde.

Ich will hier nicht einfach den Teufel an die Wand malen. Man soll hier auch einmal erwähnen, dass Argentinien mit 40 Millionen Menschen Nahrungsmittel für 400 Millionen Menschen produziert, das ist eine beachtliche Leistung und man will weiter steigern auf 600 Millionen. Aber es ist eine Hochrisikostrategie, die das Land dabei fährt. Ich wünsche Glück, Suerte! wie uns alle zum Abschied zuriefen. Denn die Argentinier, die uns begegneten sind zwar etwas sorglose aber sehr begeisterungsfähige, hilfreiche und freundliche Menschen und ich hoffe, das ist hier auch ein bisschen zum Ausdruck gekommen. Hasta luego. (Bild oben David Eppenberger)
Am Stadtrand von Rosario

Agrentina (3): CFK, die Meistgehasste

September 3, 2013

Christina Fernandez de KirchnerSeit ein paar Tagen fahre ich durch Argentinien, und wenn es eine Konstante gibt im Gespräch mit den Bauern, dann ist es der omnipräsente Hass auf die Praesidentin Cristina Fernandez de Kirchner, die sich in Anlehnung an den ehemaligen amerikanischen Präsidenten gerne CFK nennen laesst.

Was steckt dahinter? Die Ursachen liegen gut 10 Jahre zurück: Ihr Ehemann Nestor, in dessen Fussstapfen Cristina 2007 in quasi dynastischer aber demokratisch bestaetigter Erbfolge trat, machte die Landwirtschaft 2002 zur Milchkuh: Nach einer dramatischen Wirtschaftskrise führte Argentinien zum wiederholten Male eine massive Abwertung der Landeswährung Peso durch. Die Leitwährung, der US-Dollar war neu nicht mehr gleich stark, sondern viermal so viel wert wie der einheimische Peso.

Dadurch erlebten die Cashcrops – mit Abstand am wichtigsten ist die Soja – einen Boom, weil deren Export durch die Abwertung massiv erleichtert wurde. Von dieser Hausse wollte sich der Staat eine Scheibe abschneiden und führte happige Exportsteuern ein, die sich bis heute gehalten haben. Die Soja beispielsweise wird bei der Ausfuhr mit nicht weniger als 35 Prozent besteuert, fuer Rindfleisch wiederum betraegt der Tarif meinen Angaben zufolge gut 20 Prozent (PS. Falsche Angabe, es sind 15 Prozent für Frischfleisch und 5 Prozent für Konserven). CFK versuchte 2008 eine weitere Erhöhung einzuführen, scheiterte aber an den empörten Protesten der Bauern und letztlich im Parlament.

Mit dem tarifären Aktivismus wollte die Regierung mit Hilfe der boomenden Agrarindustrie einen Teil der aufgrund der Wirtschaftskrise(n) stark gestiegenen Sozialkosten finanzieren und gleichzeitig die Inlandversorgung sichern. Letztlich lief diese Politik aber ins Leere und führte namentlich im Rindfleischsektor dazu, dass argentinische Investoren neu in Paraguay und Uruguay die besseren Marktbedingungen ausnützen, was mit dazu geführt hat, dass Argentinien in der Rangliste der Rindfleischexporteure stark verloren hat und dass, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, heute Weizen eingeführt werden muss, da die Bauern die Kultur aufgrund der Exportsteuern meiden.

Was mich erstaunt, ist, dass sich die Bauern politisch gegen die eher absurd anmutenden Regulierungen nicht besser wehren (können). Ich war vor meinem Besuch davon ausgegangen, dass der Agrarsektor aufgrund seiner Bedeutung für die nationale Wirtschaft der Regierung die Traktandenliste diktieren wuerde. Dem ist aber nicht so. Wie mir ein Agrarfunktionär heute abend sagte, ist der politischer Lobbyismus der Landwirte tradidtionell schwach. Sie hätten sich nie um die Politik gekümmert, erklärte er. Das ist auch eine Spätfolge der Militärdiktatur, eine Phase, in der man am besten fuhr, wenn man die Faust, wenn überhaupt, am besten nur im Sack machte. Das rächt sich nun. Mir kam mein altes Lieblingssprichwort in den Sinn: Die Hunde – in diesem Fall die Bauern – bellen, die Karawane – hier CFK und ihre Equipe – zieht weiter. Zumindest bis 2015, wenn die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen. (Bild abc.com)