Heute werden sie wieder zu Tausenden auf die Juckerfarm in Seegräben strömen, die Erlebnishungrigen. Ich war letzten Sonntag kurz dort und etwas überrascht. Soviel Volk hätte ich dann doch nicht erwartet.
Klar, das selbsternannte „Kürbis-Imperium“ kannte man schon als Publikumsmagnet, aber jedesmal wenns einem hierhin verschlägt, ist die Infrastruktur, das Erlebnisangebot wieder ein bisschen gewachsen.
Aber woraus besteht denn dieses Erlebnis? Zunächst wandelt man als Anwanderer durch eine Apfelanlage, landet folgerichtig bei der mobilen Mosterei, ist dann sofort umringt von vielen Schaulustigen, die gleich nebenan den frischen Most trinkt oder abfüllt, bevor man sich am Grill eine Bratwurst, in der Bäckerei ein Stückli oder in einem der ausgewachsenen Restaurants ein komplettes Menu gönnt. Unterdessen gibt’s nämlich in einem neu anmutenden Gebäude eine zweite Beiz mit Panoramaterasse.
Mitten drin dann eine Kürbisflut, inszeniert in Skulpturen oder anderen Arrangements und natürlich Exemplare in jeder Grösse zum Verkauf. Die diversen Verkaufspunkte bieten aber nicht nur Gebäck, Most oder Kürbisse, sondern natürlich auch alle anderen Produkte von den vier Betrieben, oft in konservierter Form, seien es Würste, Konfitüre oder was sonst immer der konsumfreudige Erlebnisfreund oder seine Partnerin begehrt.
Ist das noch Landwirtschaft? Oder nur noch Kürbis-Disneyland? Ich bin für ersteres. Juckers sind clevere Unternehmer, die ihr Business systematisch und ohne viel Rücksicht auf die Gepflogenheiten der Branche ausgedehnt haben (man frage etwa die alteingesessenen Flaacher Spargelbauern…). Verboten ist das nicht, im Gegenteil, es ist von offizieller Seite, man lausche den Worten des Agrarministers, sogar sehr erwünscht. In Ueli Maurer, einem alten Freund des Hauses, haben die Juckers einen zweiten Freund im Bundesrat.
Dass beim Ausbau die Grenzen des Erlaubten ausgekitzelt werden, ist klar, dass es nicht allen gefällt ebenso. In den letzten Jahren war es das Verkehrsproblem in Seegräben, das eher noch mehr Schlagzeilen machte, als die Details der Kürbisausstellung. Ganz zum Unmut der benachbarten Dorfbevölkerung stauten sich die Autos immer ärger. Zuweilen war die Rede von einer Seilbahn zur Entlastung, wohl eher eine Bier- und PR-Idee, unterdessen behilft man sich mit einem improvisierten Parkplatz auf einer Wiese beim Bahnhof, von dort fahren prall gefüllte Shuttlebusse auf den Hof. Sicher besser als die Verkehrslawine auf den engen Gässchen im Weiler, aber das Problem ist latent und zeigt auch Grenzen auf.
Unter dem Strich aber ist mir der Erlebnisrummel auf dem Hof deutlich lieber, als die Einkaufsmeilen in der Agglo, wo sich ein Shoppingpalast an den anderen reiht. Letztlich suchen die Leute nämlich hier wie dort genau dasselbe: Konsum kombiniert mit Erlebnis, und bei Jucker ist letzteres ganz sicher authentischer, als in einem Franz-Carl-Weber-Schaufenster oder am Würstlistand von Ikea. Und ein solch emsiges Treiben auf einem Landwirtschaftsbetrieb, auch wenn es etwas übertrieben scheint, ist mir definitiv lieber, als die Tristesse, welche die für immer geschlossenen Höfe auf dem Weg an den Bahnhof ausstrahlen.
Heute ist, sollten Sie die Ankündigung verpasst haben, der Tag des Apfels. Aus diesem Anlass deshalb wieder mal ein paar Zeilen zu dieser von mir heiss geliebten und wenn möglich täglich verzehrten Frucht.
Das letzte Wochenende durfte ich im Südtirol verbringen, das sich in den letzten Jahrzehnten zum Eldorado des Apfels entwickelt hat. Nach zwei Tagen vor Ort bin ich geneigt vom Almeria des Apfels zu sprechen. Die südspanische Gemüsemetropole hat bekanntlich wenig schmeichelhafte Berühmtheit als flächendeckender Plasticgewächshaus-Sündepfuhl erlangt.
So sieht es im Südtirol nicht aus, aber anderweitig belastend. Im ganzen Vinschgau, dem gut 60 Kilometer langen Tal im äussersten Westen des Südtirols und immer weiter darüber hinaus hat die Apfelindustrie kaum einen Flecken Land übrig gelassen, der nicht von den getrimmten Spalierbäumchen bepflanzt wäre.
Das ist zwar alles immerhin noch grün, zumindest im Sommer. Trotzdem ist es kein schönes Schauen. Die Plantagen werden aufrecht gehalten von Betonpfosten, die zum dominanten Landschaftsraster geworden sind. Das erfährt man buchstäblich am Besten im Zug, wo es einem fast schwindlig wird ob des vorbeiziehenden Pfostenwalds gesprenkelt mit zahllosen hellgrünen und roten Tupfern, den makellos im Geäst hängenden dominanten Sorten Golden und Red Delicious, darüber vielerorts ein schwarzer Schimmer bestehend aus Quadratkilometern von Witterungs-Schutznetzen.
Vergangenes Wochenende war die Ernte in vollem Gang. Von hier aus wird der Apfelbedarf von Italien, halb Europa und eines Gutteils der Welt gespiesen. Die Jahresproduktion liegt gemäss Wikipedia bei 950’000 Tonnen von 8000 Betrieben mit total 18’400 Hektaren. Südtirol ist damit das grösste Apfelproduktionsgebiet Europas. Zwar bedecken die Bäume nur 2,5 Prozent des Territoriums, aber in der Talebene sind es gefühlte 70 bis 80 Prozent, die Plantagen reichen bis weit in die Dörfer hinein und kriechen immer weiter den Hang und das Vinschgau hinauf.
Zuoberst im Tal, in Mals, wo man überrascht ist, noch einige weidende Kühe zu sehen, stösst die Industrie jetzt auf Widerstand. Die Gemeinde hat in einem mühselig erkämpften Referendum im November 2014 mit 76 Prozent Ja-Stimmen ein Pestizidverbot beschlossen, dessen Umsetzung aber noch nicht vollzogen ist, da noch zahlreiche juristische Hürden zu nehmen sind. Die Bedeutung des klaren Ja ist eher symbolischer Natur. Das Pestizid-Verbot zielt auf die Apfelproduktion. Diese ist in ihrer Intensität auf 15-20 Pflanzenschutzbehandlungen jährlich angewiesen.
Dass die Dichte der Anlagen den Schädlingen die Verbreitung erleichtert liegt auf der Hand, dass die Spritzmittel-Einsätze in unmittelbarer Nähe der Bevölkerungszentren zunehmend Widerstand wecken, ist logisch. Daran ändert auch die starke Dominanz der apfelfreundlichen Südtiroler Volkspartei und des ihr nahestehenden Bauernbunds nichts.
Diese Apfelmonokultur hat den Bogen überspannt, so mein spontaner Eindruck und das System dürfte über kurz oder lang zusammenbrechen – spätestens dann, wenn die immer weniger werdenden zugelassenen Spritzmittel von Resistenzen durchlöchert sein werden. Das ist eigentlich schade, denn das Klima im Trockental bietet für den Anbau der Frucht ideale Voraussetzungen und hat für einigen Wohlstand gesorgt hat. Gleichzeitig zeigt das Apfel-Almeria zehn Minuten hinter der Schweizer Grenze, dass wir wenn nicht auf einer Insel der Glückseligen, so doch zumindest in und mit einer ganz anderen Agrikultur leben. Die Vielfalt der Schweizer Betriebe nimmt zwar tendenziell ab, aber eine solche Konzentration, wie man sie z.B. auch in Hollands Blumenindustrie findet, wäre bei uns schlicht nicht möglich, auch weil sie von der Bevölkerung nicht geduldet würde.
Allerdings sollten wir uns nicht allzustark in Selbstgefälligkeit sonnen. Unlängst sorgten Pläne für ein 80-Hektaren-Gewächshaus-Landschaft im Seeland für Schlagzeilen. Das sind wenig vielversprechende Perspektiven, auch weil dies möglicherweise das grösste aber längst nicht das einzige Projekt dieser Art in der Schweiz ist. Wehret den Anfängen ist zwar eine schwer abgelutschte Handlungsempfehlung, aber immer noch eine gute.
Keine Angst, das wird jetzt hier nicht der 3733. Kochblog.Aber ich bin Ihnen, geneigte Leserschaft, ja noch eine Antwort schuldig, genauer: eine Wettbewerbsantwort. Und der Gewinner ist: Thomas Rippel! Herzliche Gratulation. Aber der Reihe nach: Vielleicht erinnern Sie sich noch an den auf Februar ausgeweiteten „Fetten Januar“ und das Preisausschreiben für die „Fette Sau“ von Jürgen Schmücking? Das tolle Buch – hier rechtsliegend – winkte ja dem-/derjenigen, die/der mir das beste fette Rezept zustellen würde. Nun, ohne die Leistung von Thomas schmälern zu wollen, das Teilnehmerfeld war relativ klein, um genau zu sein umfasste es genau eine Person. Der fette Preis für den Sieger ist aber nicht minder verdient, sein Rezept sieht nämlich lecker aus, probiert habe ich es zwar noch nicht, aber schon beim mit den Augen probieren siehts verlocken aus.
Aber überlassen wir das Wort doch dem Gewinner: „Ich habe ein Rezept von einer 92-jährigen Frau aus dem Welschland welche uns regelmässig am Hof besucht bekommen nachdem ich ihr von meiner Liebe für Grieben erzählt habe – Griebenkuchen. Sie hat es auf einer Schreibmaschine getippt und mir mit einem netten handgeschriebenen Brief geschickt. Heute habe ich das Rezept ausprobiert und es wurde köstlich 🙂 Die Grieben habe ich übrigens auch selber gemacht. Ich habe das Rezept nun noch mal ein wenig Nose-to-Tail-iger gemacht. Statt Ei und Milch habe ich Blut genommen (s. Bild unten):
Danke, Thomas. Mir gefällt das Rezept natürlich auch weil Grieben vorkommen. Auf gut berndeutsch heissen die Gräubi, das ist ausgelassenes Schweinefett gewürfelt (s. das instruktive Bild von Thomas). Und Grossvater selig pflegte sie im Winter den Hühnern zu futtern. Das gab den Eierproduzentinnen den nötigen Schmutz, um die damals noch arktischen Temperaturen in der kalten Emmentaler Jahreszeit zu überstehen, wobei ein guter Anteil immer auch direkt im Magen des Grosssohns verschwand. Das war ein wachsiges Beifutter.
Toll übrigens auch die Wortschöpfung „Nose-to-tailiger“, das merk ich mir. Lasst uns den Fleischkonsum wieder „Nose-to-tailiger“ machen, das ist doch ein guter Vorsatz für einen Dienstagabend.
Zum Schluss noch zwei, drei Worte über den Gewinner, bzw. seinen Brot-, bzw. Grieben-Erwerb. Er ist laut der schmucken Website Landwirtschaftsgeselle auf dem Hof Maiezyt in Habkern im Berner Oberland. Sieht nach einem interessanten Gemeinschaftsprojekt aus. Daneben unterhält unser Gewinner eine eigene stattliche und lesenswerte Webpräsenz. Ich wünsche Glück in den Stall und weiterhin ein gutes Händchen in der Küche! Der fette Preis ist unterwegs, oder jedenfalls schon fast. (Bilder Thomas Rippel)
Dieser Januar ist einfach zu schnell vorbeigegangen. Drum ist das jetzt quasi der fette Spätjanuar. Heute gibt’s es das titelgebende Werk zu gewinnen, namen „A fette Sau – Mangalitza, Zucht und Geschichte, Fleisch und Gerichte“ von meinem Agrarjournalistenkollegen Jürgen Schmücking.
Für Jürgen ist Agrarjournalist eigentlich eine Untertreibung, klar, das ist er auch, aber daneben ist er auch ein Top-Fotograf und vor allem ein krasser Ernährungstyp, und das meine ich jetzt nur positiv. Er ist ein Spürhund, immer am Schnüffeln nach dem besten Geschmack, wenn Du ihm auf Facebook und Instagram folgst, darfst Du das NIE hungrig oder durstig tun, sonst grenzt es an Folter. Auch daneben ein Supertyp, lustiger österreichischer Humor, unbestechliches Urteil zwar, aber kein gestopfter Kritiker, sondern ein gmögiger Kasten, Typ progressiver Seebär.
Anyway, was ich eigentlich sagen wollte: Wenn Jürgen ein Buch rausgibt, dann kann es nichts Schlechtes sein, das wusste man schon vorher. Und es ist super geworden. Aber auch für „A fette Sau“ gilt, was ich vorhin gesagt habe, zumindest wenn man nicht vegi ist oder etwas gegen Schmutz (für nicht-Schweizer: Schweinefett hat). Ich habe zwar grad üppig gefrühstückt, aber Jürgens 200-Seiter hat mir trotzdem schon wieder Hunger gemacht.
Das Buch ist eine Mischung: Im Mittelpunkt stehen das Tier, das Mangalitza-Schwein. Es ist ein Porträt dieser „Rasse mit Klasse“, die allerdings schwer in Rücklage geraten ist, seit der Durchschnittskonsument das Fett meidet, wie der Teufel das Weihwasser (Zitat Schmücking). Es ist aber auch ein Porträt des Ehepaars Wiesner, das sind Christoph und Isabell, Mangalitzazüchter irgendwo im tiefen Österreich. Die fette Sau ist zudem agronomisch und metzgerhandwerklich ergiebig, man erfährt viel über die Fütterung (zB. mit gekochten Kartoffeln) aber auch über die Schlachtung. Hier ein kleines Beispiel:
Schnell gemästete Schweine stehen immer durchgetreten, also flach und mit weichen Gelenken da. Da kann sich jeder vorstellen, dass das Tier ständig Schmerzen hat und das Produkt am Ende nicht gut sein kann, weder im Geschmack, noch in der Information, die das Fleisch weitergeben wird. Das heisst also, man sollte den Tieren am Anfang Zeit geben, sie langsam wachsen lassen, dafür sorgen, dass die Schweine frische Luft haben. Wir wollen ja auch die Lunge essen.
Im weiteren ist es natürlich auch ein Rezeptbuch mit tollen Bildern (wie sowieso alle Fotos sehr ansehnlich sind), aber auch ein Plädoyer für artgerechte Nutztierhaltung, für eine nähere Beziehung zwischen Bauer und Konsument sowie für den Nose-to-Tail-Ansatz. Eine interessante Passage beschreibt unter anderem, wieso es Sinn macht, möglichst grosse Stücke vom Schwein zu kaufen:
Es ist ganz einfach: Je grösser die Fleischstücke sind, desto mehr kann man darin lesen. Je näher man dem Produzenten ist, desto eher kann man auch überprüfen, ob das was er gesagt hat, auch stimmt. Bei einzelnen Koteletts ist überhaupt nicht mehr feststellbar, was damit alles passiert ist. Bei einer halben Sau ist die Sache deutlich einfacher. Man sieht die Drüsen, das Bindegewebe ist genau so sichtbar wie die Knochen. Der Schlachtkörper erzählt die komplette Geschichte des Tieres.
Und so weiter. Kann ich voll empfehlen. Hier der Link zum Buch, gehen Sie doch, wenn Sie Euch auch hungrig macht, die fette Sau, zum lokalen Buchhändler und bestellen Sies, passt irgendwie besser zum Inhalt, als Einklickbestellung beim Internet-Multi… Oder machen Sie an meinem Wettbewerb mit, weil im Moment scheint das Buch (verständlicherweise) ausverkauft zu sein. Aber weil man wirklich Schmutz gerne haben muss, um es zu geniessen, ist es keine gschwind Wikipedia-Wettbewerbsfrage sondern quasi der Slow Food unter den Quizanforderungen: Wer mir in den nächsten zwei Wochen das beste Rezept in dem Schweinsschmutz oder feisses Schweinefleisch eine Rolle spielen zuschickt (adimali@gmx.ch), am besten selber gekockt, am liebsten mit Bild, kriegt die fette Sau zugestellt. Die Jury ist sehr subjektiv und aus einer schmutzliebenden Person bestehend. (Bilder aus dem besprochenen Buch)
Nun ist sie also so gut wie amtlich bewilligt, die Multimultimilliarden-Hochzeit zwischen Bayern und Monsanto, beziehungsweise die Adoption des amerikanischen Schmuddelknabens durch die Leverkusener Mutti. Das ist keine Überraschung: Die Ausweitung von Marktmacht durch Konzentration gehört zu den Megatrends in der heutigen Wirtschaft, daran wird auch in diesem Fall das Hüsteln der im Gegensatz zu Braut und Bräutigam national organisierten Wettbewerbsbehörden gar nichts ändern, wie die Erfahrung zeigt.
Der reizende Kommentar
Von dem her nichts Neues im Westen und an sich auch nicht des Bloggens wert. Doch der Kommentar von NZZ-Wirtschaftsredaktor Sergio Aiolfi zum Baysanto-Merger hat mich nun doch zu fest gereizt, um hier nicht wieder einmal in die Tasten zu greifen. Nicht etwa, um den geschätzten Ex-Kollegen zu bashen, sondern weil sein Text exemplarisch zeigt, wie simplifizierend und letztlich naiv heute von Wirtschaftsexperten die Kritik an dieser Fusion und generell am Agieren der Chemie-Grossunternehmen vom Tisch gewischt wird, obschon es angesichts der bisherigen Erfahrungen jenseits der ausgewaschenen Schützengräben von erbitterten Befürwortern und Gegnern mehr als genug Anlass gibt, diesen gigantischen Zusammenschluss kritisch zu hinterfragen.
Aiolfis Kommentar ist typisch für eine Denkschule, die höchstens den Shareholdern, ganz sicher aber nicht den Konsumenten und den Bauern, und zu allerletzt denjenigen in der dritten Welt dient. Es sei hier wieder einmal erwähnt, dass über die Hälfte der Armen auf dieser Welt Bauern sind, denen die finanzielle und technische Basis für einen sicheren Einsatz der Hi-Tech-Chemierezepte fehlt. Aber der Reihe nach. (Den Kommentar übrigens, sollten Sie den oben eingefügten Link nicht nutzen können, habe ich untenstehend in voller Länge eingefügt.)
Tränen der Rührung?
Aiolfi erwähnt zum Auftakt den möglichen Reputationsschaden für das deutsche Unternehmen durch eine Übernahme von Monsanto. Sollen uns nun die Tränen der Rührung kommen, ob des uneigennützigen Einkaufs von Bayer? Als ob irgendjemand von einem der schärfsten Konkurrenten Monsantos eine Imagekorrektur für das rücksichtslose Geschäftsgebahren der Amerikaner (dem Vernehmen nach beschäftigt Monsanto mehr Anwälte als Agronomen) erwarten würde. Bayer ist keine gemeinnützige Gewissensstiftung, sondern ein Unternehmen, das im Bereich von pestizidresistentem GVO-Saatgut gegenüber Monsanto ein grosses Defizit hat und dieses mit dem Zukauf auszugleichen versucht. Monsanto seinerseits verzeichnet ein Vakuum in der Produkte-Pipeline, weil man sich zu lange auf ein einziges Produkt verlassen hat, dessen Patente nun auslaufen.
Dass die Reputation von Monsanto durch den Einsatz seiner Roundup-Kupplungs-Technologie (Verkauf von Herbizid und dagegen resistentem GVO-Saatgut) gelitten hat, ist nicht das Verdienst der „arroganten Bayer- und Monsanto-Kritiker“, sondern weitestgehend selbst verschuldet. Dabei ist der zuweilen schrille Widerstand von NGO und Konsumenten in Westeuropa nur ein Nebenschauplatz. Das Hauptproblem aus agronomischer und damit auch gesellschaftlicher Sicht liegt anderswo.
Mit der Verschmälerung des Saatgut-Angebots auf wenige GVO-resistente Sorten (und damit der vom Kollegen in Abrede gestellten Verminderung der Auswahl für Konsumenten und Landwirte (beim Saatguteinkauf)), förderte Monsanto vor allem im weitherum boomenden Sojaanbau geradezu die Resistenzen von Unkräutern gegen Roundup. Die Folge ist unter anderem der grossflächige Einsatz hochgiftigen Substanzen wie Atrazin oder 2,4-D, welche oft mit Flugzeugen versprüht werden, die dabei ganze Dörfer einnebeln und die Gesundheit der Anwohner permanent gefährden. Das passiert aber nicht etwa in Europa, sondern zum Beispiel in Südamerika, wo mit GVO-Saatgut richtig Geld verdient wird.
Keine Spur von Technologiefeindlichkeit
Aiolfi führt den Widerstand gegen solche Auswüchse auf Technologiefeindlichkeit „der Grünen“ zurück. Wenn er damit die Biobauern und das ihnen wohl gesonnene politische Umfeld meint, dann ist er definitiv auf dem Holzweg. Diese sind nämlich keineswegs technologiefeindlich, sondern vor allem allergisch auf die Vereinnahmung ihrer Produktionsgrundlagen durch Konzerne, welche nicht etwa die komplette Ernährung der Weltbevölkerung anstreben, sondern, wie Aiolfi richtig feststellt, die „konsequente Verfolgung der Interessen der Aktionäre“, die der Kommentator wie leider viele seiner Kollegen mit denjenigen sämtlicher Stakeholder verwechselt oder verwechseln will.
Wollten die Shareholder und damit ihre Firmen nämlich nicht kurzfristigen Profit, sondern tatsächlich eine globale Ausrottung der Unterernährung und der Armut, dann hätten sie den Tatbeweis dafür längstens liefern können. Das ist aber bisher nicht gelungen, deshalb wohl auch die nachvollziehbare Skepsis der Kritiker, dass Baysanto und Konsorten künftig anders zu agieren gedenken. Mit Arroganz hat dies nichts zu tun, eher mit pragmatischer Einschätzung der Lage. Deshalb erübrigt es sich auch, die vorliegende Fusion mit der Ernährung von mutmasslich 2,3 Milliarden Menschen mehr anno 2050 rechtfertigen zu wollen.
Zurück zur von Aiolfi vermuteten „fatalen Technologie-Verteufelung“ durch die „Grünen“. Ich empfehle dem Kommentator statt der x-ten Bilanzmedienkonferenz einen Besuch an einem Bioackerbautag (siehe z.B. Video unten). Dort wird er sehen, dass sich hinter jedem modernen mechanischen Unkrautbekämpfungsgerät Trauben von Bauern und Bäuerinnen (auch konventionellen) scharen, die gespannt auf neue Technologie warten, um dem Unkraut ohne Pestizide Herr zu werden. Die aus ökologischer Überzeugung, ökonomischem Kalkül (bessere Preise für Bioprodukte) oder weil sie den Resistenzen auch mit den neueren, und durchaus umweltverträglicheren synthetischen Pestiziden nicht beikommen.
Grünes Digital Farming
Diese Geräte arbeiten mit modernster Digitaltechnologie, GPS, Lasersensoren, Hi-Tech-Steuerungen etc., eben Digital Farming. Bei deren Entwicklung sind aber nicht die Chemiemultis, sondern vorwiegend KMU führend, welche mit tatkräftiger Unterstützung der Landwirte neues Gerät entwickeln. Selbiges gilt für den biologischen Pflanzenschutz, wo grosse Chemieunternehmen, darunter Bayer, den Braten gerochen haben und Start-Ups gleich reihenweise aufkaufen. Von Technologiefeindlichkeit also keine Spur.
Auch GVO werden übrigens bei den „Grünen“ keineswegs nur im gut-böse-Raster diskutiert, sondern von gewissen Leuten durchaus als Chance gesehen, zum Beispiel, um den dringend nötigen Zuchtfortschritt für krankheitsresistente zu beschleunigen. Der Grund warum diese positiven Stimmen noch in der Minderzahl sind, ist nicht Technologie-Verteufelung sondern hauptsächlich darin zu suchen, dass die Grossunternehmen die Technologie bisher vor allem dafür benutzt haben, ihre Interessen am Markt durchzusetzen.
Zum Glück ist Food ein Politikum
Zum Schluss noch ein Wort zum Thema Food. Aiolfi beklagt sich, dass sich „Slow-Food-Freunde“ und andere Grosskonzern-Kritiker der Ernährung als Politikum annehmen, statt sich widerstandslos verabreichen zu lassen, was eine zunehmend konzentrierte Nahrungsmittelindustrie innoviert („Fast Food als Segen für minderbemittelte Konsumenten“). Die Verdienste der Konzerne um Food-Standards (Hygiene, Convenience etc.) in Ehren, aber dass sich immer mehr Konsumenten und ihre Vertreter das Recht herausnehmen, Fragen zu stellen und über Nahrungsmittel engagiert zu diskutieren und via Auswahl die Produktion zu steuern, ist ein Segen. Dieser Bereich ist zu essentiell und lebensnah, als dass man ihn den Konzernen überlassen könnte. Ein liberaler Geist sollte eigentlich froh sein, wenn die Konsumenten als mündige Wirtschaftssubjekte so Qualitätsförderung betreiben.
Zum Schluss wünsche ich mir, dass mich diese Mega-ChemiEhe positiv überrascht und dass sie bessere Blüten treibt, als das Vorgängermodell. 1954 haben Bayer und Monsanto gemeinsame Firma Mobay gegründet, wie man auf Wikipedia ausführlich nachlesen kann. Das 1992 aufgelöste Unternehmen produzierte unter anderem 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure für den Entlaubungscoktail Agent Orange, den die Amerikaner im Vietnamkrieg verwendeten. Es kann ja eigentlich nur noch besser werden, die Bringschuld ist hoch. (Bild marketwatch.com)
Der Kommentar von Sergio Aiolfi in der NZZ vom 17.9.2016:
Proteste gegen den Zusammenschluss von Bayer und Monsanto: Fatale Technologie-Verteufelung
«Höllische Heirat», «tödliche Vereinigung», «Errichtung eines arroganten Imperiums», das unweigerlich im «Ökozid» endet: Umweltschützer und Kritiker aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen lassen an der geplanten Übernahme von Monsanto durch Bayer kein gutes Haar. Mit dieser Transaktion geht das deutsche Pharmaunternehmen nicht nur betriebliche und finanzielle Risiken ein, sondern es nimmt auch einen möglichen Reputationsschaden in Kauf. Der amerikanische Saatguthersteller ist wohl der meistgehasste Multi der Welt. Als dessen neuer Eigentümer läuft der Leverkusener Konzern – seinerseits immer wieder Zielscheibe von Kritikern – Gefahr, die Gegner noch weiter gegen sich aufzubringen. In ihren wütenden Reaktionen prangern diese die angebliche Ballung von Marktmacht an, die mit der Fusion einhergeht; zudem machen sie geltend, dass sich für die Konsumenten damit die Auswahl an Nahrungsmitteln verringern werde. Dass die Wettbewerbsbehörden in den Ländern, in denen Bayer/Monsanto künftig tätig sein wird, Monopolstrukturen kaum tolerieren werden, findet bei den Kritikern keine Erwähnung. Erstaunlich an deren Stellungnahmen ist ohnehin der völlige Mangel an sachlichen Argumenten, die erklären würden, warum die geplante Übernahme denn so verwerflich wäre. Die Aktivisten brüsten sich damit, dafür gesorgt zu haben, dass der Name Monsanto zum Synonym von «Gift» geworden sei. Weitere Erläuterungen erübrigen sich. Angesichts der Tragweite dieser Transaktion ist das sehr dürftig.
Nahrungsmittel als Politikum
Viele der Vorwürfe, denen sich Monsanto ausgesetzt sieht, könnte man auch anderen Firmen machen. Der Konzern ist marktmächtig, gewinnorientiert, global tätig und verfolgt konsequent die Interessen der Aktionäre. Banken, Rohstoffkonzerne und Pharmafirmen tun dies ebenfalls und geraten auch immer wieder in den Strudel der Kritik. Agrar- und Nahrungsmittelunternehmen jedoch scheinen sich für Anprangerungen ganz besonders zu eignen. Dem war nicht immer so. Die Industrialisierung des Essens und des Kochens nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise stiess in der Gesellschaft auf Akzeptanz; sie wurde als Wohltat für die eilige Hausfrau empfunden. Fast Food galt als Segen für minderbemittelte Konsumenten.
Dass Nahrungsmittel heute ein derartiges Politikum sind, hat wohl damit zu tun, dass sie einer Vielzahl von Zeitgeist-Strömungen als Protest-Plattform dienen. Industrie-, Kapitalismus- und Globalisierungskritiker finden hier ebenso Gehör wie Umweltschützer und Slow-Food-Freunde. Im Hintergrund kochen zudem die Agrarmarkt-Protektionisten ihr Süppchen und wirken darauf hin, dass ihre Einflusssphäre von Fremdem verschont bleibt. Ein Unternehmen wie Monsanto ist die ideale Verkörperung all dessen, was diese Fortschrittsskeptiker ablehnen.
Was den Kritikern vor allem in Europa besonders in die Nase sticht, sind die gentechnisch veränderten Organismen (GVO), eine Saatgut-Spezies, zu deren Entwicklung Monsanto wesentlich beigetragen hat. Auch diese Hightech-Agrarprodukte sind zum Symbol für das Böse schlechthin geworden. Sie gelten als Machtinstrumente, um den Bauern die Industrialisierung der Landwirtschaft aufzunötigen, sie in die Abhängigkeit von Konzernen zu zwingen und die Umwelt zu zerstören. Diesem grotesken Zerrbild werden die Segnungen des Biolandbaus gegenübergestellt, welcher der Menschheit auf sanfte Art den Weg zurück zur Natur weist.
Die Gefahr besteht, dass die europäische Sichtweise und der Biolandbau zum Modell für die Lösung der globalen Ernährungsprobleme werden. Ein Fehlschluss.
Ist das tatsächlich die Alternative zur konventionellen Agrartechnologie? Nach den Schätzungen der Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) dürfte die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen angewachsen sein; das sind 2,3 Milliarden mehr als heute. Damit all diese Erdbewohner ernährt werden können, wird die Nahrungsmittelproduktion gegenüber dem jetzigen Stand überproportional gesteigert werden müssen; es ist davon auszugehen, dass mit zunehmendem Wohlstand vorab in Schwellenländern der Kalorienverbrauch pro Kopf zunehmen wird. Die agrarwirtschaftlichen Nutzflächen lassen sich jedoch nicht entsprechend ausweiten, was bedeutet, dass man bestehendes Ackerland intensiver nutzen muss. Gleichzeitig wird man weniger Wasser und weniger Chemikalien einsetzen können.
Mit den Mitteln der Biolandwirtschaft werden sich diese globalen Herausforderungen kaum meistern lassen. Die FAO betont zwar die Bedeutung des organischen Landbaus. Sie hielt jedoch bereits 2007 fest, dass auf Basis dieser Methode die derzeitige Weltbevölkerung nicht ernährt werden könne, von der Zahl künftiger Erdenbürger ganz zu schweigen. Man wird auf Produktivitätsfortschritte angewiesen sein, die unter Einsatz technologischer Neuerungen zu erzielen sind. Und dazu braucht es Firmen wie Bayer, Syngenta, Dow, DuPont, BASF – und nicht zuletzt Monsanto.
Über die Gentechnik hinaus
Auch die GVO gehören, allen Anfeindungen zum Trotz, zu den Mitteln, welche die Produktivität der Landwirtschaft fördern. Trotz allen Verdächtigungen stellen sie für die Konsumenten auch keine Gefahr dar. Bis heute jedenfalls gibt es keinen Nachweis dafür, dass die Organismen zu gesundheitlichen Schäden führen könnten. GVO sind aber auch kein Wundermittel, mit dem sich die Ernährungsprobleme allesamt lösen liessen. Bei Monsanto beging man in früheren Jahren wohl den Fehler, dieser Technologie zu grosse Bedeutung beizumessen und sie als einziges Mittel für eine zukunftsträchtige Gestaltung der Landwirtschaft zu propagieren. Davon ist der Konzern längst abgekommen, was den Kritikern vermutlich entgangen ist.
Eine neuartige, von Monsanto geförderte Agrartechnologie ist beispielsweise das Digital Farming, ein computerisiertes Verfahren, das auf der Verarbeitung von grossen Datenmengen (etwa bezüglich Bodenbeschaffenheit oder Wetterbedingungen) und dem Einsatz von Algorithmen beruht. Dank diesen Informationen können einem Landwirt präzise Anweisungen über Ort und Zeit eines optimalen Saatgut-, Dünger- und Pestizid-Einsatzes gegeben werden. Und aufgrund dieser Informationen lassen sich die mit bestehenden Anbaumethoden erzielten Erträge erhöhen. Die neue Technologie fällt heute umsatzmässig noch wenig ins Gewicht, hat aber beträchtliches Potenzial. Mit deren zunehmender Bedeutung wird sich Monsanto von einem Saatguthersteller allmählich zu einem Dienstleistungsunternehmen wandeln. GVO, der ewige Stein des Anstosses, dürften konzernintern an Bedeutung verlieren – wobei kaum anzunehmen ist, dass sich der Hass auf das Unternehmen deshalb verringern wird.
Die Fundamentalopposition, die einer Firma wie Monsanto entgegenschlägt, hat die verhängnisvolle Folge, dass alle technischen Neuerungen, die von einem Multi ausgehen, generell abgelehnt werden. Im Lager der Grünen hat sich eine Maschinenstürmer-Mentalität breitgemacht, und man gibt sich der Illusion hin, dass die Herausforderungen, die in den nächsten Jahrzehnten anstehen, ohne technische Innovationen und Zusatzleistungen zu bewältigen sein werden. Mit dem Verzicht auf Hightech und GVO ist man in Europa bisher gut zurechtgekommen. Die Gefahr besteht jedoch, dass man diese europäische Sichtweise und die Vorliebe für Biolandbau zum Modell für die Lösung der globalen Ernährungsprobleme emporstilisiert. Das ist ein fataler Fehlschluss. Namentlich Drittwelt- und Schwellenländer sind auf den Einsatz moderner, ertragssteigernder Agrartechnologien angewiesen – und solche Innovationen stammen aus den Labors und Versuchsfeldern der Agrarkonzerne. Diese Bemühungen gilt es nach Kräften zu fördern und nicht zu sabotieren, wie das die arroganten Bayer- und Monsanto-Kritiker tun.
Grad zweimal (mittel-)kurz im Süden gewesen, einmal in Teneriffa (alle Bilder links) und einmal in Napoli (alle Bilder rechts). Die zwei Regionen verbindet einiges: vom Klima gesegnet, vom Tourismus beglückt (bzw. gezeichnet), von Vulkanen überragt und deshalb relativ wenn auch abnehmend gut mit Süsswasser sowie fruchtbaren Böden versorgt.
Als Tourist kann man es sich beiderorts gut gehen lassen, vor allem, wenn man wie unsereinem gern isst, denn die beiden Gegenden sind wahre Füllhörner: ein unglaublicher Reichtum an Früchten und Gemüsen, Milchprodukte vom Feinsten, Charcuteriespezialitäten, diverse Öle und zahlreiche Weine zum Schwelgen. Frost ist ein Fremdwort und die Vegetationsperiode quasi endlos.
Trotzdem herrscht trotz unzähligen Sonnenstunden nicht eitel Sonnenschein. Teneriffa hat Jugendarbeitslosigkeitsraten von 50 Prozent und damit noch dramatischere Zustände als das Mutterland Spanien. Die Insel ist hochgradig abhängig von Subventionen aus Brüssel und Madrid, zudem müssen über 90 Prozent der Lebensmittel eingeführt werden. Selbst versorgen können sich die Bewohner der zweitgrössten Kanareninsel praktisch nur mit Bananen (das wichtigste Exportprodukt) und Tomaten, diese Produktion kann sich aber nur dank EU-Stützung über Wasser halten, pro Kilo Bananen macht sie 40 Cent aus, rund ein Drittel des Produzentenpreises.
Auch Napoli macht aus seinem Garten Eden wenig, die Infrastruktur ist in weiten Teilen marode und erinnerte mich in vielem an das Rumänien der schlechtesten Zeiten kurz nach dem Sturze Ceausescus. Anders als dort, wo die Wirtschaft (auch dank EU-Mitteln) unterdessen boomt und mit korrupten Strukturen aufgeräumt wird, scheint im italienischen Mezzogiorno keine grosse Entwicklung im Gang zu sein.
Das sind natürlich nur recht oberflächliche Urteile, aber ein Fazit darf man sicher ziehen: Gute Voraussetzungen für Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind heute leider längst nicht mehr genug für Prosperität, auch wenn immer mehr Menschen immer mehr Kalorien konsumieren wollen. Das ist ja nicht grad eine neue Erkenntnis, aber sie ist deprimierend genug, um sie neben all den kulinarischen Leckereien immer wieder mal auf den Tisch zu bringen.
Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Zunächst die lokalen: Landflucht, weil Landarbeit schlecht bezahlt ist; der Klimawandel, welcher gerade den südeuropäischen Gebieten stark zusetzen wird; und schliesslich vor allem in Napoli und Umgebung auch mafiöse Strukturen, die der Landwirtschaft ihrerseits schaden. Dazu kommen aber auch globale Entwicklungen wie die zunehmende Industrialisierung der Lebensmittel- und Landwirtschaftsindustrie, die den Produzenten vor allem das Risiko überlässt und die Gewinne in die Metropolen abzieht.
Kein schöner Cocktail. Was tun? Die Rolle der KonsumentInnen kann nicht hoch genug gewichtet werden. Deine Landwirtschaft ist, was Du isst, könnte man angelehnt an ein beliebtes Sprichwort wohl sagen. Das gilt nicht nur im Alltag, sondern insbesondere auch in den Ferien, wo man mehr Zeit und Lust zum Einkaufen (und je nach Ausstattung des Domizils auch zum Kochen) hat. Und der Bummel auf (Bauern-)Märkten, der Einkauf direkt von Produzenten am Strassenrand sowie der Besuch auf Bauernhöfen beschert ganz nebenbei tolle Ferienerlebnisse. Klar, das ist alles nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin.
Immer wieder und neulich auch auf diesem Kanal ertönt der Ruf nach Landdienst für agrarrenitente JournalistInnen und andere meinungspolitisch aktive Gruppierungen. Heute will ich den Griffel einmal umdrehen. Als ich kürzlich mit einem guten Freund (selber gelernter Landwirt, aber nicht mehr praktizierend) zu Tisch sass und wir wie öfters über Landwirtschaftspolitik diskutierten, brachte er die Innovation Stadtdienst auf den Plan. Wir waren uns sofort einig, dass dies nicht nur eine Superidee ist, sondern für das Landvolk zum Beispiel in der Ausbildung zum Pflichtstoff gehören müsste. Wieso?
Wenn die Bauern längerfristig überleben wollen, müssen sie anfangen, sich für ihre Kundschaft zu interessieren. Und diese sitzt nun mal in den Zentren: Die Schweiz wird ja gerne verklärt als ländliches Idyll, aber unterdessen wohnen 75 Prozent der Bevölkerung in Städten und Agglomerationen, und dieser Trend wird sich noch verstärken.
Für viele Bäuerinnen und Bauern ist die Stadt Hort von allem, das man am liebsten von sich fernhält. Allenfalls gönnt man sich mal eine kulturelle Perle, aber den meisten liegt das Männerchortheater im Dorf oder die Landdisco am anderen Ende des Kantons näher als das urbane Zentrum. Manchmal muss man fast hin, zum Beispiel an eine Demonstration, aber dann fährt man mit dem Bus hin, steigt aus, schwenkt Treicheln, markiert den Unzufriedenen mit Drohpotenzial und kehrt so schnell wie möglich wieder heim auf den Hof.
Es steht ja fest, da ist man sich glaube ich langsam einig, dass es für die Schweizer Landwirte und Landwirtinnen keine Zukunft hat, namenlose Massenware zu produzieren. Der einzig gangbare Weg ist es, Spezialitäten zu produzieren, Nischen zu füllen und Spezialwünsche der heimischen und zum Glück mehrheitlich recht kaufkräftigen Konsumentinnen und Konsumenten zu befriedigen. Nur, wie soll man diese kennen, wenn man sich darum foutiert, wie diese Leute leben, wonach sie sich sehnen und was sie sich von „ihren“ Bauern wünschen?
Damit man das begreifen kann, würde es keinem schaden, einmal eine Woche am Stadtleben und am Durschnittsbürolisten-Arbeitsalltag in vollgestopften Zügen und klimatisierten Büros teilzuhaben, zu beobachten, wie sich die Leute bewegen und wie sie sich ernähren. Das könnte, ganz nebenbei manch einem Landwirten, manch einer Landfrau die Augen dafür öffnen, dass das bäuerliche Leben neben den bestens bekannten und viel beklagten Härten jede Menge Privilegien bereithält, von denen der Durchschnittsstädter nur träumen kann: Viel Platz, schöne und staatlich verbilligte Wohnlage, wenige und weit entfernte Nachbarn, Hoheit über den Arbeitsplan und dessen freie Gestaltung, Leben am Arbeitsplatz sowie ein staatlich garantierter Mindestlohn.
Der Stadtdienst könnte umgekehrt auch das Image der Konsumenten und Konsumentinnen verbessern helfen. Es ist nämlich nicht so wie es ein in bäuerlichen Kreisen beliebtes Klischee besagt, dass diese alle ins Ausland oder in den nächsten Discounter rennen, um sich dort mit Billigstware einzudecken. Der Lebensmittelmarkt umfasst in der Schweiz rund 50 Milliarden Franken, mindestens 30 dieser Milliarden werden für inländische Produkte ausgegeben, gut 15 für importierte Ware und nur gut 2 für Einkaufstourismus. Teil des Stadtdienstes müsste dann auch der Standdienst im Grossverteiler sein, wo die Bauern und Bäuerinnen als authentische Vertreter für ihre Produkte mit diesen hinstehen könnten, um noch mehr KonsumentInnen davon zu überzeugen, das heimische anstatt das importierte Poulet zu kaufen.
Auf dem Programm wäre auch ein Besuch in einer der zahlreichen Beizen, wo die Leute bereit sind, beachtliche Preise für Schweizer Qualität zu bezahlen, ein Entrecôte kostet im Zürcher Restaurant gut und gerne 40 bis 50 Franken, und manchmal ist da noch nicht einmal die Beilage dabei. Das ist kein Pappenstiel und zeigt, dass man Schweizer Qualität durchaus wertschätzt.
Lange bin ich in jungen Jahren mit dem damals beliebten Autokleber rumgefahren auf dem stand: „Ohne Bauern stirbt die Stadt“. Das schleckt keine Geiss weg, allerdings stirbt kein einziger Schweizer Städter, wenn es keine Schweizer Bauern mehr gibt. Der Umkehrschluss ist deshalb richtiger: „Ohne Stadt sterben die Bauern“. Denn wenn die Schweizer Bauern und Bäuerinnen in ihrem Metier überleben wollen, sind sie zwingend auf den Goodwill der Schweizer StädterInnen angewiesen. Und ein bisschen mehr Austausch und damit Verständnis für die Probleme und Bedürfnisse des jeweils anderen schaden dabei sicher nicht, im Gegenteil.
An den Festtagen sitzt das Portemonnaie locker, man und frau gönnt sich namentlich was Fleisch angeht etwas Edles zur feierlichen Tafel, es ist ja nicht alle Tage Weihnacht. Interessant deshalb zu schauen, was unsere lieben Grossverteiler da so anpreisen, wie mir heute beim allwöchentlichen Hochgeschwindigkeitsdurchblättern der beiden Detailhandelspostillen aufgefallen ist.
Um es vorweg zu nehmen, Coop enttäuscht diesmal schwer. Ungeachtet der unbestrittenen Verdienste um das Tierwohl und das heimische Schaffen, welche die Basler bei jeder Gelegenheit noch so gerne ins grösstmögliche Schaufenster hängen, erhalten sie heute den Agroblog-Schwarzpeter für das schwächste Schweinebauch-Festtagsinserat 2015.
Das Schweinebauch-Inserat, sollte Ihnen, liebe LeserInnen dieser Begriff nicht geläufig sein, ist die Aktion gewordene Auswahlsendung, die Migros und Coop mal beschränkt auf eine Produktegattung, mal querbeet mit allem (deshalb Schweinebauch) sei’s in den eigenen Blättern oder in den Printmedien placieren. (Die NZZ, das nur am Rande bemerkt, kämpft bis heute umsonst um das Privileg, diese Rabattseiten an Bord zu holen, edle Positionierung hat manchmal auch ihre Schattenseiten).
Item, dieser Fleisch-Schweinebauch in der neuesten Coop-Zeitung enttäuscht schwer: Trotz heimischem Topangebot kommt das Rind aus Irland, das Kalb aus Frankreich oder vielleicht (wenn man Schwein hat) aus der Schweiz und das Lamm wie üblich aus very far Übersee. Das alles, vor allem bei Rind und Kalb zu satten um nicht zu sagen horrenden Preisen und ohne jegliche Label. Es lässt sich halt fast mit nichts so schön Marge bolzen, wie mit Importfleisch. Dass man dies mit Ausnahme des Schweines ausgerechnet zu den Festtagen so skrupellos durchzieht ist eine rechte Enttäuschung. Das, ich wiederhole mich gerne, ist Einkaufstourismus, der sich durch nichts unterscheidet von demjenigen der Tausenden von helvetischen Grenzpilgern, über die man sich bei den Grossverteilern zunehmend Sorgen macht.
Deutlich besser schneidet zumindest diesmal die Konkurrenz ab, welche mit Ausnahme des latenten Lamm- und Geflügelproblems (das auch Coop hat) durchwegs auf heimische Ware setzt. Selbst das knochengereifte Fleisch (ziemlich unnötiger Kult, scheint mir, aber offenbar trendig genug, um ihm in beiden Detailhandesblättchen je eine Seite zu widmen) stammt bei Migros aus dem TerraSuisse-Label, während bei Coop nichts deklariert ist, was erneut auf Import und Labelfreiheit schliessen lässt. Korrekturen wie immer willkommen, ein bisschen Reinwaschung könntet Ihr brauchen, werte Coopportunisten…
PS. Hier noch eine kleine willkommene Ergänzung von Monika Schlatter, die regelmässigen Besucherinnen als talentierte Kuhfotografin bekannt sein dürfte. Sie hat mir untenstehendes Bild geschickt und dazu folgendes geschrieben: „Wenn Coop ausländisches Fleisch (wo bleibt dort wohl der Tierschutz…?) von weither „herankarrt“ und derart billig anpreist, wird der Konsument wohl nicht zum teureren Schweizer Fleisch greifen…“ Dem gibt’s nichts beizufügen, ausser vielleicht, dass es langjährigen Beratungsanstrengungen sei Dank doch einen gewissen Prozentsatz von Leuten gibt, die nichtsdestotiefpreis konsequent auf nachhaltiges einheimisches Schaffen setzen, danke Monika!
Heute morgen beim Hochgeschwindigkeits-Durchblättern der „Coopzeitung“ plötzlich gestutzt: „Machen die jetzt auf reduziertes Packungsdesign?“ fragt sich das noch etwas matte Hirn reflexartig. Ah nein, melden die langsam in Fahrt kommenden grauen Zellen, da handelt es sich um Produkte vom Juckerhof, dem Königreich der Direktvermarkter, so erfolgreich, dass in der Standortgemeinde Seegräben ZH seit Jahren über die Art der Bewältigung des lawinenartigen Verkehrsaufkommens vom und zum „Erlebnishof“-Gelände gestritten wird.
Die Jucker-Kürbisse gibt’s ja schon länger bei Coop (übrigens fein, grad gestern aus einem Exemplar eine Suppe gebastelt), aber dass mir nun auch noch der halbe Hofladen aus der Hauspostille des Grossverteilers entgegenleuchtet, gibt doch ein wenig zu denken. Nicht dass ich den tüchtigen Jucker-Brüdern den Erfolg und den zusätzlichen Umsatz missgönnen würde. Aber wenn man sich das ein bisschen genauer überlegt, ist es schon eine ziemliche Perversion des Direktvermarktungsgedankens.
Ursprünglich war ja diese Art des Verkaufs dazu gedacht, den Zwischenhandel für einen – mikrobiell kleinen – Teil des Marktes auszuschalten und eine direkte Brücke von den Produzentinnen zu den Konsumentinnen zu schlagen. Damit kann der Primärsektor nicht nur die Marge erhöhen, sondern auch den Austausch mit den Kunden pflegen, in beiden Richtungen: Rückmeldungen zur Qualität der Produkte aus erster Hand und Schaffen von gegenseitigem Verständnis aufgrund dem Wissen um Sorgen und Bedürfnisse.
Das wachsende Bedürfnis, nicht nur ennet der Grenze, sondern auch regional einzukaufen ist natürlich auch den Marketingstrategen der Grossverteiler nicht entgangen. Mit ihren Programmen „Aus der Region – Für die Region“ (Migros) sowie „Miini Region“ (Coop) versuchen sie dieses seit einigen Jahren zu befriedigen. Davon profitieren wir durchaus, so habe ich etwa dank dem Migros-Programm den weltbesten Grossverteiler-Anke von der Molkerei Neff in Wald entdeckt.
Trotzdem kann ich mich nicht richtig freuen, wenn jetzt der Grossverteiler auch noch die landwirtschaftliche Direktvermarktung als Teil des Portefeuilles zu betrachten beginnt. Das Inserat verspricht eine Hofladen-Atmosphäre und Nähe zur Scholle, die ein Grossunternehmen schon strukturell bedingt nie wird einlösen können, eben gerade weil er kein Direktvermarkter sondern ein Zwischenhändler ist, und damit genau derjenige, der in diesem System für einmal zurückstehen müsste.
Coop und Migros haben durchaus Verdienste, was die Förderung einer bäuerlichen nachhaltigen Landwirtschaft angeht, aber ein Grossverteiler ist ein Grossverteiler ist ein Grossverteiler. Ich kenne die Konditionen des Deals Jucker-Coop nicht, gehe aber davon aus, dass die Seegräbner massive Einbussen bei der Marge hinnehmen müssen, was sie quersubventionieren durch die Werbewirkung der Coop-Präsenz, höhere Quantitäten und Erträge aus anderen Verkaufskanälen. Bin natürlich gerne bereit, das zu korrigieren, wenn mir jemand genaue Zahlen liefert…
…wär doch (wieder) mal was, oder? Dieses Modell stammt von den Fiechter-Sisters, die jeden Freitag auf dem Helvetiaplatz und jeden Samstag in Oerlikon, beides in Zürich zu Markte fahren mit ihren Fleischspezialitäten. Hier sieht man das Huhn in den Töpfen von Frau James vom Reverbmusicblog, die mehr kann als über Sound schreiben!
Das Suppenhuhn ist ja nicht nur lukullisch sondern auch politisch korrekt. Pro Jahr sollte jedeR Eieresserin eins verzehren, es lohnte sich bisher noch jedesmal.
Dieser Post ist übrigens so etwas wie die Fortsetzung der 2012 hier lancierten Aktion „Suppenhuhn in Action“. Hier geht’s zum Post samt ein paar Backgrounds zum Hühnervogel.
Einen Guten Appetit allerseits! (Bild Helen James)
PS. Herzlichen Dank für diese Ergänzung samt Hühnerwurstbild zum Beitrag von Thomas Muff aus Härkingen!
„Wir sind hier im Einfamilienhausquartier und halten uns unsere 4 – 6 Hühner, auf Ostern brüten wir gerne unsere Küken selber aus. Auch schon haben wir einen Güggel nachgenommen, aber als der Nachwuchs da war durfte er dann die Herde wechseln, war dann doch nicht so quartiertauglich…auf jeden Fall sein Geräuschpegel nicht. Nun ja, die Altehennen hatten wir bis anhin gekocht…als ein Kollege mich zu einem Wurst- und Rauchkurs mitnahm, entstand die Idee, die Althennen zu verwursten (Bratwurst). Dass sie platzsparender gelagert werden können, paarweise aufgetaut werden und einige Personen weniger Hemmungen haben das Fleisch zu essen sind nur ein paar der Vorteile aus meiner Sicht.“
Es steht mir fern, Wahlkampf machen zu wollen, aber einem, der mit Blackeneisen und Fang posiert würde ich - so ich… twitter.com/i/web/status/1…1 day ago