Archive for the ‘Spezialkulturen’ Category

Die Country-Mall – ist das noch Landwirtschaft?

Oktober 8, 2017

Heute werden sie wieder zu Tausenden auf die Juckerfarm in Seegräben strömen, die Erlebnishungrigen. Ich war letzten Sonntag kurz dort und etwas überrascht. Soviel Volk hätte ich dann doch nicht erwartet.

Klar, das selbsternannte „Kürbis-Imperium“ kannte man schon als Publikumsmagnet, aber jedesmal wenns einem hierhin verschlägt, ist die Infrastruktur, das Erlebnisangebot wieder ein bisschen gewachsen.

Aber woraus besteht denn dieses Erlebnis? Zunächst wandelt man als Anwanderer durch eine Apfelanlage, landet folgerichtig bei der mobilen Mosterei, ist dann sofort umringt von vielen Schaulustigen, die gleich nebenan den frischen Most trinkt oder abfüllt, bevor man sich am Grill eine Bratwurst, in der Bäckerei ein Stückli oder in einem der ausgewachsenen Restaurants ein komplettes Menu gönnt. Unterdessen gibt’s nämlich in einem neu anmutenden Gebäude eine zweite Beiz mit Panoramaterasse.

Mitten drin dann eine Kürbisflut, inszeniert in Skulpturen oder anderen Arrangements und natürlich Exemplare in jeder Grösse zum Verkauf. Die diversen Verkaufspunkte bieten aber nicht nur Gebäck, Most oder Kürbisse, sondern natürlich auch alle anderen Produkte von den vier Betrieben, oft in konservierter Form, seien es Würste, Konfitüre oder was sonst immer der konsumfreudige Erlebnisfreund oder seine Partnerin begehrt.

Ist das noch Landwirtschaft? Oder nur noch Kürbis-Disneyland? Ich bin für ersteres. Juckers sind clevere Unternehmer, die ihr Business systematisch und ohne viel Rücksicht auf die Gepflogenheiten der Branche ausgedehnt haben (man frage etwa die alteingesessenen Flaacher Spargelbauern…). Verboten ist das nicht, im Gegenteil, es ist von offizieller Seite, man lausche den Worten des Agrarministers, sogar sehr erwünscht. In Ueli Maurer, einem alten Freund des Hauses, haben die Juckers einen zweiten Freund im Bundesrat.

Dass beim Ausbau die Grenzen des Erlaubten ausgekitzelt werden, ist klar, dass es nicht allen gefällt ebenso. In den letzten Jahren war es das Verkehrsproblem in Seegräben, das eher noch mehr Schlagzeilen machte, als die Details der Kürbisausstellung. Ganz zum Unmut der benachbarten Dorfbevölkerung stauten sich die Autos immer ärger. Zuweilen war die Rede von einer Seilbahn zur Entlastung, wohl eher eine Bier- und PR-Idee, unterdessen behilft man sich mit einem improvisierten Parkplatz auf einer Wiese beim Bahnhof, von dort fahren prall gefüllte Shuttlebusse auf den Hof. Sicher besser als die Verkehrslawine auf den engen Gässchen im Weiler, aber das Problem ist latent und zeigt auch Grenzen auf.

Unter dem Strich aber ist mir der Erlebnisrummel auf dem Hof deutlich lieber, als die Einkaufsmeilen in der Agglo, wo sich ein Shoppingpalast an den anderen reiht. Letztlich suchen die Leute nämlich hier wie dort genau dasselbe: Konsum kombiniert mit Erlebnis, und bei Jucker ist letzteres ganz sicher authentischer, als in einem Franz-Carl-Weber-Schaufenster oder am Würstlistand von Ikea. Und ein solch emsiges Treiben auf einem Landwirtschaftsbetrieb, auch wenn es etwas übertrieben scheint, ist mir definitiv lieber, als die Tristesse, welche die für immer geschlossenen Höfe auf dem Weg an den Bahnhof ausstrahlen.

Das Almeria des Apfels stösst an Grenzen

September 21, 2017

Heute ist, sollten Sie die Ankündigung verpasst haben, der Tag des Apfels. Aus diesem Anlass deshalb wieder mal ein paar Zeilen zu dieser von mir heiss geliebten und wenn möglich täglich verzehrten Frucht.

Das letzte Wochenende durfte ich im Südtirol verbringen, das sich in den letzten Jahrzehnten zum Eldorado des Apfels entwickelt hat. Nach zwei Tagen vor Ort bin ich geneigt vom Almeria des Apfels zu sprechen. Die südspanische Gemüsemetropole hat bekanntlich wenig schmeichelhafte Berühmtheit als flächendeckender Plasticgewächshaus-Sündepfuhl erlangt.

So sieht es im Südtirol nicht aus, aber anderweitig belastend. Im ganzen Vinschgau, dem gut 60 Kilometer langen Tal im äussersten Westen des Südtirols und immer weiter darüber hinaus hat die Apfelindustrie kaum einen Flecken Land übrig gelassen, der nicht von den getrimmten Spalierbäumchen bepflanzt wäre.

Das ist zwar alles immerhin noch grün, zumindest im Sommer. Trotzdem ist es kein schönes Schauen. Die Plantagen werden aufrecht gehalten von Betonpfosten, die zum dominanten Landschaftsraster geworden sind. Das erfährt man buchstäblich am Besten im Zug, wo es einem fast schwindlig wird ob des vorbeiziehenden Pfostenwalds gesprenkelt mit zahllosen hellgrünen und roten Tupfern, den makellos im Geäst hängenden dominanten Sorten Golden und Red Delicious, darüber vielerorts ein schwarzer Schimmer bestehend aus Quadratkilometern von Witterungs-Schutznetzen.

Vergangenes Wochenende war die Ernte in vollem Gang. Von hier aus wird der Apfelbedarf von Italien, halb Europa und eines Gutteils der Welt gespiesen. Die Jahresproduktion liegt gemäss Wikipedia bei 950’000 Tonnen von 8000 Betrieben mit total 18’400 Hektaren. Südtirol ist damit das grösste Apfelproduktionsgebiet Europas. Zwar bedecken die Bäume nur 2,5 Prozent des Territoriums, aber in der Talebene sind es gefühlte 70 bis 80 Prozent, die Plantagen reichen bis weit in die Dörfer hinein und kriechen immer weiter den Hang und das Vinschgau hinauf.

Zuoberst im Tal, in Mals, wo man überrascht ist, noch einige weidende Kühe zu sehen, stösst die Industrie jetzt auf Widerstand. Die Gemeinde hat in einem mühselig erkämpften Referendum im November 2014 mit 76 Prozent Ja-Stimmen ein Pestizidverbot beschlossen, dessen Umsetzung aber noch nicht vollzogen ist, da noch zahlreiche juristische Hürden zu nehmen sind. Die Bedeutung des klaren Ja ist eher symbolischer Natur. Das Pestizid-Verbot zielt auf die Apfelproduktion. Diese ist in ihrer Intensität auf 15-20 Pflanzenschutzbehandlungen jährlich angewiesen.

Dass die Dichte der Anlagen den Schädlingen die Verbreitung erleichtert liegt auf der Hand, dass die Spritzmittel-Einsätze in unmittelbarer Nähe der Bevölkerungszentren zunehmend Widerstand wecken, ist logisch. Daran ändert auch die starke Dominanz der apfelfreundlichen Südtiroler Volkspartei und des ihr nahestehenden Bauernbunds nichts.

Diese Apfelmonokultur hat den Bogen überspannt, so mein spontaner Eindruck und das System dürfte über kurz oder lang zusammenbrechen – spätestens dann, wenn die immer weniger werdenden zugelassenen Spritzmittel von Resistenzen durchlöchert sein werden. Das ist eigentlich schade, denn das Klima im Trockental bietet für den Anbau der Frucht ideale Voraussetzungen und hat für einigen Wohlstand gesorgt hat. Gleichzeitig zeigt das Apfel-Almeria zehn Minuten hinter der Schweizer Grenze, dass wir wenn nicht auf einer Insel der Glückseligen, so doch zumindest in und mit einer ganz anderen Agrikultur leben. Die Vielfalt der Schweizer Betriebe nimmt zwar tendenziell ab, aber eine solche Konzentration, wie man sie z.B. auch in Hollands Blumenindustrie findet, wäre bei uns schlicht nicht möglich, auch weil sie von der Bevölkerung nicht geduldet würde.

Allerdings sollten wir uns nicht allzustark in Selbstgefälligkeit sonnen. Unlängst sorgten Pläne für ein 80-Hektaren-Gewächshaus-Landschaft im Seeland für Schlagzeilen. Das sind wenig vielversprechende Perspektiven, auch weil dies möglicherweise das grösste aber längst nicht das einzige Projekt dieser Art in der Schweiz ist. Wehret den Anfängen ist zwar eine schwer abgelutschte Handlungsempfehlung, aber immer noch eine gute.

 

Global denken, lokal handeln – und produzieren

Juli 3, 2017

Hier wieder mal eine Analyse aus der BauernZeitung. Auslöser war das Pestizid-Bashing, das im Moment schwer en vogue ist. Ich habe noch noch selten so viele Reaktionen erhalten auf einen Text, mehrheitlich positiv, übrigens vereinzelt auch aus dem „Biokuchen“. Von dort gab es aber auch kritische Stimmen, so fragte man mich, was denn eigentlich mit meiner Biogesinnung passiert sei. Ich habe ihm dann geschrieben, ich hätte mich schon immer als kritischen Freund der Landwirtschaft, inkl. Bio verstanden.

Aber ist schon klar, dass sich die Perspektive etwas verschiebt, wenn man vom Bioblatt zum allgemeinen landwirtschaftlichen Wochenblatt wechselt. Nach wie vor liegt die Zahl der Biobewirtschafter bei rund 10 Prozent, knapp 90 Prozent verwenden ab und zu oder regelmässig Spritzmittel, die meisten denen ich begegne, sofern man das aus der journalistischen Distanz beurteilen kann, sehr risikobewusst.

Ich bin absolut für saubere Gewässer und Ahndung von Übergriffen und unsorgfältigem Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Was mich einfach ziemlich nervt sind die radikalen Ansätze von Leuten, die sich ein gut laufendes Thema ausgewählt haben, das sie bewirtschaften und sich so profilieren können. Dabei ist ihnen offenbar komplett egal, was sie damit bewirken. Darin unterscheiden sie sich – obschon meist weit links positioniert – kein bisschen von denjenigen Rechtsauslegern, die via Volksinitiativen stupide Forderungen in der Verfassung festschreiben wollen. Und ich mach mir ernsthaft Sorgen, dass wir unsere Landwirtschaft zu Tode pützerln, aber steht ja alles im Artikel. Hier online und hier noch zum direkt im Blog lesen:

Es vergeht kaum ein Tag ohne Attacken auf synthetische Pflanzenschutzmittel (PSM). Eine etwas unheimliche Allianz aus aufgeregten Journalisten, besorgten Forschern, machtbewussten Wasserlobbyisten, opportunistischen Detailhändlern, schlitzohrigen Fischern, radikalen Umweltschützern und bewegten Konsumenten geht derzeit mit vereinten Kräften auf die Landwirtschaft los und diskreditiert den Einsatz von PSM so gut, wie es geht.

Gleichzeitig profitiert jedes Interessengrüppchen auf seine Art. Die Medien bolzen Quote; Forscher, Wasserleute, Detaillisten und Naturschutzgruppen können sich als Umweltapostel profilieren; die Fischer lenken von ihren eigenen Problemen wie der selbst verschuldeten Knappheit der Fischbestände ab und den umweltbesorgten Konsumentinnen und Konsumenten fliegen Unterschriften für ihre Antipestizid-Initiativen zu.

Soll man sich darüber aufregen? Das nützt herzlich wenig. Die PSM-Diskussion ist geprägt durch viel Halbwissen, Emotionen und Eigennutz. Es bringt wenig, mit der gleichen Marktschreier-Mentalität aufzutreten. Die Landwirtschaft tut im Gegenteil gut daran, kühlen Kopf zu bewahren und den angriffsfreudigen PSM-Kritikern den Spiegel vorzuhalten und ein paar Fakten aufzutischen.

Grundsätzlich gibt es nichts einzuwenden gegen eine scharfe Beobachtung des Pflanzenschutzes. Es ist nicht gut, wenn Flüsse verschmutzt sind und Grundwasser verunreinigt wird. Hier hat sich aber in den letzten Jahrzehnten viel getan. PSM werden heute ungleich vorsichtiger eingesetzt, das gilt auch für den Schutz der ausbringenden Person. Zudem hat die Professionalität stark zugenommen; während früher auf praktisch jedem Betrieb eine Spritze stand, ist dieser Job heute vielfach in den Händen von Lohnunternehmern, die durch den täglichen Umgang mit den Spritzmitteln viel Know-how mitbringen.

Wenn weiterhin Grenzwerte überschritten werden, hat das in Einzelfällen mit mangelnder Sorgfalt zu tun, und diese Fehler gilt es weiter zu reduzieren. Der Löwenanteil der Aufregung geht aber zulasten der hypersensiblen Messmethoden, die Mikrogrammen eine Dimension geben, als schwämme der Grossteil der hiesigen Fische bereits auf dem Rücken. Wir verfügen in der Schweiz trotz intensiver Landwirtschaft sowie Gewerbe und Industrie, die übrigens auch nicht nur mit Hahnenwasser kochen, über sehr saubere Gewässer. Man springt sorgenlos in Flüsse und Seen, ein Verhalten, das ausländische Besucher immer wieder in Staunen versetzt. Ihnen käme das in der Heimat gar nicht in den Sinn.

Dass die Umweltschützer im eigenen Umfeld aktiv sind, ist trotzdem nachvollziehbar. Sie halten sich an das bewährte Weltretter-Motto «Global denken, lokal handeln». Wenn man irgendetwas zum Besseren verändern kann, dann höchstens vor der eigenen Türe. Nur denken sie das Sprüchli leider nicht fertig. Denn wer lokal handelt, sollte auch lokal produzieren.

Es dürfte kaum im Sinn der Anti-PSM-Koalition sein, wenn die sterile Reinhaltung unserer Bächlein auf Kosten der Gewässer ennet der Grenzen geht. Genau das wird aber passieren, wenn die ohnehin herausgeforderte Produktion hierzulande durch ein direktes oder indirektes Pestizidverbot weiter in die Defensive gedrängt würde: Die Inlandproduktion ginge zurück, die Importe nähmen zu. Wenn wir die Selbstversorgung in einem solchen Szenario einigermassen auf demselben Niveau halten möchten, bräuchte es einen sehr intensiven Biolandbau. Schon heute steht dieser aber seinerseits vor grossen Herausforderungen. Das in der Praxis immer noch alternativlose Fungizid Kupfer verbleibt als Schwermetall länger im Boden als jedes Pestizid. Und mit Gülle im Bach kann man innert Stunden derart verheerenden Schaden anrichten, dass ein paar Mikrogramm PSM daneben wie ein Nasenwässerchen wirken. Zudem hat der Biolandbau in Sachen Ressourceneffizienz eine schlecht geschützte Flanke.

Und so würde nach der vermeintlichen Lösung des Pestizidproblems zweifellos alsbald die nächste Sau durchs Dorf gejagt. Ob sie nun Ressourceneffizienz, Kraftfutterimport, Antibiotikaverbrauch, Tierschutz oder anders heisst. Die Besorgten aller Couleur müssen einfach aufpassen, dass sie unsere Landwirtschaft nicht zu Tode verschönern und plötzlich ratlos vor einem Scherbenhaufen stehen; komplett abhängig von Importen, bei denen es nichts mehr lokal zu handeln gibt.

 

Füllhörner, die nicht mehr recht schütten können

März 29, 2016

Bananen für BlogNapoli für BlogGrad zweimal (mittel-)kurz im Süden gewesen, einmal in Teneriffa (alle Bilder links) und einmal in Napoli (alle Bilder rechts). Die zwei Regionen verbindet einiges: vom Klima gesegnet, vom Tourismus beglückt (bzw. gezeichnet), von Vulkanen überragt und deshalb relativ wenn auch abnehmend gut mit Süsswasser sowie fruchtbaren Böden versorgt.

Als Tourist kann man es sich beiderorts gut gehen lassen, vor allem, wenn man wie unsereinem gern isst, denn die beiden Gegenden sind wahre Füllhörner: ein unglaublicher Reichtum an Früchten und Gemüsen, Milchprodukte vom Feinsten, Charcuteriespezialitäten, diverse Öle und zahlreiche Weine zum Schwelgen. Frost ist ein Fremdwort und die Vegetationsperiode quasi endlos.

Trotzdem herrscht trotz unzähligen Sonnenstunden nicht eitel Sonnenschein. Teneriffa hat Jugendarbeitslosigkeitsraten von 50 Prozent und damit noch dramatischere Zustände als das Mutterland Spanien. Die Insel ist hochgradig abhängig von Subventionen aus Brüssel und Madrid, zudem müssen über 90 Prozent der Lebensmittel eingeführt werden. Selbst versorgen können sich die Bewohner der zweitgrössten Kanareninsel praktisch nur mit Bananen (das wichtigste Exportprodukt) und Tomaten, diese Produktion kann sich aber nur dank EU-Stützung über Wasser halten, pro Kilo Bananen macht sie 40 Cent aus, rund ein Drittel des Produzentenpreises.

Auch Napoli macht aus seinem Garten Eden wenig, die Infrastruktur ist in weiten Teilen marode und erinnerte mich in vielem an das Rumänien der schlechtesten Zeiten kurz nach dem Sturze Ceausescus. Anders als dort, wo die Wirtschaft (auch dank EU-Mitteln) unterdessen boomt und mit korrupten Strukturen aufgeräumt wird, scheint im italienischen Mezzogiorno keine grosse Entwicklung im Gang zu sein.

Biokäse für BlogNapoli2 für BlogDas sind natürlich nur recht oberflächliche Urteile, aber ein Fazit darf man sicher ziehen: Gute Voraussetzungen für Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind heute leider längst nicht mehr genug für Prosperität, auch wenn immer mehr Menschen immer mehr Kalorien konsumieren wollen. Das ist ja nicht grad eine neue Erkenntnis, aber sie ist deprimierend genug, um sie neben all den kulinarischen Leckereien immer wieder mal auf den Tisch zu bringen.

Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Zunächst die lokalen: Landflucht, weil Landarbeit schlecht bezahlt ist; der Klimawandel, welcher gerade den südeuropäischen Gebieten stark zusetzen wird; und schliesslich vor allem in Napoli und Umgebung auch mafiöse Strukturen, die der Landwirtschaft ihrerseits schaden. Dazu kommen aber auch globale Entwicklungen wie die zunehmende Industrialisierung der Lebensmittel- und Landwirtschaftsindustrie, die den Produzenten vor allem das Risiko überlässt und die Gewinne in die Metropolen abzieht.

Kein schöner Cocktail. Was tun? Die Rolle der KonsumentInnen kann nicht hoch genug gewichtet werden. Deine Landwirtschaft ist, was Du isst, könnte man angelehnt an ein beliebtes Sprichwort wohl sagen. Das gilt nicht nur im Alltag, sondern insbesondere auch in den Ferien, wo man mehr Zeit und Lust zum Einkaufen (und je nach Ausstattung des Domizils auch zum Kochen) hat. Und der Bummel auf (Bauern-)Märkten, der Einkauf direkt von Produzenten am Strassenrand sowie der Besuch auf Bauernhöfen beschert ganz nebenbei tolle Ferienerlebnisse. Klar, das ist alles nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin.

Beeren für BlogNapoli3 für Blog

Was im Nestlé alles so ausgebrütet wird

Oktober 23, 2014

L1010109Letzte Woche habe ich wieder mal den „Blick“ gelesen, und es hat sich gelohnt. Mehr jedenfalls als die Lektüre des Schwesterblatts, die ich mir unterdesssen als Pendler fast allabendlich zumute.

Das Interview mit Hans Jöhr, Head of Agriculture von Nestlé, enthält ein paar aufschlussreiche Aussagen, die zeigen, wie der Multi tickt, und das ist für die Bauern auch in der Schweiz nicht uninteressant.

Hier ein paar markige Worte des 59-jährigen Managers, der aus dem Bernbiet einst nach Brasilien auswanderte, um dort den Traum vom Farmen zu realisieren. Danach machte er den Dr. der Wirtschaftswissenschaften, gründete ein Beratungsbüro und wechselte schliesslich vor 14 Jahren zum Grosskunden der weltweiten Landwirtschaft. Dazu ein paar Kommentare.

Jöhr zur Landwirtschaft im Allgemeinen:
„Ich bin ein Bauersohn und war selber Bauer. So habe ich gelernt, wie viele Fehler man machen kann, wenn man nicht vorsichtig umgeht mit natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser. Wir haben teilweise grosse Fehler gemacht in der Vergangenheit. In vielen Ländern konnten wir aber eine Wende einleiten.“

Das sind bemerkenswert selbstkritische Bemerkungen, die man aus den Teppichetagen von Grossunternehmen selten hört. Allerdings gelingt es Jöhr dann mühelos, die übers Haupt gestreute Asche zu einem Lorbeerkranz zu formen.

Zur Korrektur der Fehler und zur Nachhaltigkeit als Exportschlager:
„Zusammen mit Fritz Häni, dem Vater von IP Suisse, habe ich Richtlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft aufgebaut. Alle haben gesagt, das kostet zu viel und verlangten, dass wir einen Business Case entwickeln. Das haben wir dann getan. Wir haben Danone und Unilever ins Boot geholt und die Plattform für nachhaltige Landwirtschaft gegründet. Heute gehören über 60 der grössten Lebensmittelverarbeiter dazu. Das ist ein Exportschlager für die Schweizer Landwirtschaft. Wir haben die Nachhaltigkeit, die wir bei uns kennen in der ganzen Welt verbreitet.“

Ehrlich gesagt ist mir ein ziemliches Rätsel, wovon Jöhr hier spricht. Dieser Exportschlager ist mir noch nie begegnet und eine „Plattform für nachhaltige Landwirtschaft“ mit dem geschilderten Hintergrund ist zumindestens im Internet nicht aktenkundig. Schade, dass der Blick-Mann hier nicht nachfragte.

Zu Fairtrade:
„Das ist nicht zwingend der richtige Weg. Man muss aufpassen, dass man nicht die Zertifizierer oder den Handel bezahlt, sondern dass das Geld wirklich zu den Bauern kommt.“

Gut gebrüllt, bäuerlicher Löwe, das sind wahre Worte aber würde in diese Aufzählung nicht auch Jöhrs Arbeitgeber gehören? Aber natürlich, wes Nescafé ich trink…

…und weiter auf die Frage, ob das bei Fairtrade nicht der Fall sei:
„Leider nicht unbedingt. Man kann sogar Armut zertifizieren mit solchen Labels.“

Zu den eigenen Handelsbedingungen für die Bauern:
„Letztes Jahr haben wir mit über 300’000 Bauern Ausbildungen gemacht. Das ist kein karitativer Beitrag, sondern wir befähigen die Bauern, bessere Qualität zu liefern. (…) Unter Umständen zahlen wir 30 oder 40 Prozent höhere Preise als der Markt.“

Das gilt allerdings nur für das eine Prozent Nespresso-Kapselkaffeeproduzenten, wie Jöhr etwas weiter unten einräumt. Gerade hier aber ist die Verarbeitermarge derart astronomisch, dass die Differenz zwischen Ladenverkaufspreis und Produzentenpreis etwa 6 mal grösser ist als beim durchschnittlichen konventionellen Kaffeehandel, ungeachtet der 30 bis 40 Prozent Zuschlag, die Jöhr erwähnt.
Zur Illustration die grobe Rechnung:
Nespresso: Füllmenge 5 Gramm pro Kapsel, Kapselpreis 50 Rappen -> Kilopreis Fr. 100.- , Produzentenpreis Fr. 5.60 (Weltmarktpreis von Fr. 4.-/kg plus 40% Zuschlag)). Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 94.40.
Konventioneller Kaffee: Kilopreis Fr. 19.- (Migros, gehobenes Sortiment Caruso), Differenz zum Produzentenpreis: Fr. 15.-.
Soviel zum Thema Fairtrade bei Nestlé.

Jöhr zum Thema Gentech:
„Es kann ein Werkzeug sein. Wir gehen differenziert vor. Eine Technologie kann Vor- und Nachteile haben. Persönlich habe ich das Gefühl, dass Gentechnologie bereits überholt ist. Sowohl in der Pflanzenzucht wie bei der Tierzucht gibt es heute Methoden mit denen man den Bauern besser helfen kann.“

Das sich Jöhr derart klar distanziert von grüner Gentechnologie ist sehr interessant. Für mich ein klares Indiz, dass die Kosten-/Nutzenrechnung für ein Grossunternehmen mit GVO-Ware nicht aufgeht. Möglicherweise ist diese Aussage einer der Gründe, wieso das Interview sehr schnell wieder runtergenommen wurde bei Blick. Ich habe mich via Twitter beim Boulevardblatt nach der Ursache erkundigt, habe aber nie eine Antwort erhalten:

Schliesslich Jöhr zur biologischen Landwirtschaft:
„Bio kann für die Bauern eine gute Lösung sein, wenn die Konsumenten willens sind, die höheren Preise zu zahlen. In der Schweiz ist das der Fall. Man kann nicht ein Rezept aus der Schweiz oder aus Westeuropa auf die ganze Welt anwenden und sagen, es müsse alles Bio werden. Die biologische Landwirtschaft braucht mehr Ressourcen. Zudem ist sie sehr wissensintensiv, in Ländern mit vielen Analphabeten funktioniert sie nicht.“

Da muss ich nicht nur berufeshalber widersprechen, erstens sagt niemand, es müsse alles Bio werden (mit 50 Prozent wären wir schon recht zufrieden…), zweitens braucht die biologische Landwirtschaft zwar pro Ertrag mehr Ressourcen, geht aber mit diesen so schonend um, dass sie verwendbar bleiben und drittens funktioniert sie bestens mit Analphabeten, wie zahlreiche Produzenten und Projekte in Entwicklungsländern täglich beweisen. Die Aussage von Jöhr zeigt, dass Multis wie Nestlé Anbauvorschriften, die sie nicht selber diktieren, ein Dorn im Auge sind, da sie mit einem gewissen Kontrollverlust über die Bauern einhergehen. Das soll wiederum nicht heissen, dass sie es grundsätzlich schlecht meinen mit den Produzenten, denn die Firma ist auf das bäuerliche Knowhow (auch von Analphabeten) angewiesen, um die Rohstoffversorgung zu sichern, ohne Kaffeeproduzenten nützt die schönste Reklame mit Bräutigam Clooney nichts.

 

Grundfragen beim Quinoa-Dreschen in Tiraque

Juni 5, 2014

QuinoaIm letzten Herbst war ich kurz in Bolivien für den Besuch in einem FiBL-Projekt. Dort habe ich nach langen Jahren meinen Studienkollegen Johannes Brunner wieder getroffen. Er arbeitet seit einiger Zeit in Südamerika und schreibt von dort aus ab und zu einen Rundbrief für Zuhausegebliebene und andere Interessierte. Sein Editorial ist hochinteressant. Es tangiert eine der Kernfragen der (Land-)Wirtschaft: Wieviel Technisierung, Rationalisierung und Professionalisierung macht Sinn? Wem dient sie? Wer verdient daran? Wer wird glücklich dabei?

Auf der Reise in die holländische Schweineindustrie zum Beispiel habe ich mich oft gefragt, woher eigentlich der omnipräsente Wachstumsdruck kommt. Profitieren tun leider nicht primär die Bauern, auch wenn jetzt im Fall des Dreschens gewisse Vorteile der Mechanisierung nicht von der Hand zu weisen sind. Aber lesen Sie selber. Ich bringe den Text integral, inklusive Werbespot für Johannes‘ Arbeitgeber, denn die Art, wie Interteam arbeitet, scheint mir sinnvoll. Merci für den spannenden Text und das Abdruckrecht Johannes!

„Vor kurzem konnte ich in Tiraque bei der Ernte einer Parzelle Quinoa mithelfen. Die Bauernfamilie hatte die Pflanzen bereits geschnitten und auf der Parzelle pyramidenförmig aufgeschichtet, damit die Rispen trocknen konnten. Diese legten wir nun in zwei Reihen auf eine Zeltplane und liessen sie nochmals eine Stunde trocknen. Danach fuhr Roberto mit seinem Auto mehrmals über die Rispen, bis sich die kleinen Körner von den Pflanzen gelöst hatten. Nach einigen Überfahrten wendeten wir sie und das Dreschen konnte wiederholt werden. Nachdem wir diese Prozedur mehrmals durchgeführt hatten, entfernten wir die Stängel von der Plane und siebten den zurückgebliebenen Rest in zwei Durchgängen mit einem Sieb mit Lochgrösse 4mm und später 2mm.

Danach brachte die Bäuerin das Mittagessen: Maiskörner, Weizenbrei und Frischkäse. Am Nachmittag kam Wind auf und wir konnten mit seiner Hilfe und der Wurfschaufel die Körner von den Resten der Spreu und den Unkrautsamen trennen. Gegen Abend lag vor uns ein pyramidenförmiger Haufen kleiner, golden glänzender Körner von etwa 150 kg aus einer Fläche von 20 Aren, den wir in drei Säcke füllten. Alle waren müde und sehr glücklich. Während der ganzen Arbeit fühlte ich mich mit meinen Vorfahren verbunden, obwohl ich beim Garben binden und Puppen stellen nie dabei war. Zeit und Effizienz gerieten in den Hintergrund, in den Vordergrund rückten Gespräche und die Aufmerksamkeit auf die Windstärke.

Meine Idee mit einer Holzkonstruktion die Trocknung der Rispen zu beschleunigen, wurde mit Neugier aufgenommen. Gleichzeitig machte ich mir Gedanken über meine eigene Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung. Dabei stellte ich fest, dass ich Armut mit Mangel an Materiellem, mit Langsamkeit und Ineffizienz identifiziere. Sofort schlage ich deshalb Geräte und Technologien vor, damit die Bauern schneller und mehr Quinoa ernten können. Doch sind mir die Folgen nicht bewusst? Statt dass es den Familien besser geht, wird die Gemeinschaft durch Konkurrenz zerstört. Einige Betriebe wachsen auf Kosten von andern, die ihren Boden am Schluss verkaufen und abwandern.

Im Hochland Boliviens können die Menschen mit diesem Entwicklungsmodell nichts anfangen. Arm ist der Mensch, der den Kontakt zum Boden verloren hat, der keinen Boden besitzt, in dem er seine Angehörigen begraben kann, der dadurch beseelt ist und den Lebenden Nahrung und ein Dach über dem Kopf bietet. Arm ist der Mensch, der seinen Boden verkauft oder spekuliert und in die Stadt zieht auf der Suche nach einem scheinbar besseren Leben. Arm bin ich, der glaubt diesen Menschen unseren Fortschritt bringen zu müssen, obwohl ich weiss, dass damit nur Macht und Geld in den Händen weniger konzentriert wird.

Genau dieser Problematik ist sich Interteam bewusst und arbeitet deshalb auf der Ebene von Mensch zu Mensch, um langsame, dafür nachhaltige Lern- und Entwicklungsprozesse auf Vertrauensbasis aufzubauen, in denen Menschen ihre eigenen Lebensvisionen selbstbestimmt realisieren können. Die Arbeit von Interteam entpuppt sich damit auch als Werkstatt für die Kreation neuer Impulse für die Schweiz, weil unsere Partner unsere linearen Entwicklungsmodelle hinterfragen. Die Bauern und Bäuerinnen Boliviens lehren mich, dass wir in der Schweiz in dieser Hinsicht noch viel Entwicklungshilfe benötigen.“ (Bild Johannes Brunner)

 

Feuerbrandresistenz: Eine Gala für GVO?

März 17, 2014

Feuerbrand lidGrüne Gentechnologie hat auch schon schlechter ausgesehen: Letzte Woche hat die ETH Zürich gemeinsam mit dem deutschen Julius-Kühn-Institut eine Erfolgsmeldung verbreitet: Einem Team um den Forscher Cesare Gessler sei es gelungen, Gala, dem Darling der ApfelesserInnen, ein Gen einzupflanzen, das diesen resistent macht gegen den Feuerbrand, eine gefürchtete Bakterienkrankheit im Kernobstbau.

In einer Mitteilung erklärt die ETH, das Team habe mit Cis-Gentechnik gearbeitet und der Gala ein Gen eines Wildapfels eingepflanzt. Die Trans-Gentechnik dagegen arbeitet mit artfremden Genen, ein Beispiel dafür ist BT-Mais, hier wurde der Pflanze das Gen eines Bazillus einverleibt. Das eine Cis-Gen reiche aus, so heisst es in der Mitteilung der ETH, um den Apfelbaum vor dem Feuerbrand zu schützen. Mit derselben Methode war es demselben Team vor einigen Jahren gelungen, Gala eine Schorfresistenz einzubauen.

Gessler_CesareGessler ist einer der Hoffnungsträger der GVO-Promotoren. Nicht nur weil er als jovialer Wollpullover- und Bartträger so gar nicht ins Feindbild der GVO-Kritiker passen will, sondern auch, weil seine Forschung bis in die Biobranche hinein als positives Andwendungsbeispiel für die ansonsten verpönte grüne Gentechnik gilt. Das ist nicht mal falsch: Die Technologie hilft Gessler und seinen Leuten, Zeit zu sparen. Mit Cis-Gentechnik bleibt ihm die mühselige und langwierige Einkreuzung des Wildapfels in die Gala erspart. Da keine artfremden Gene eingekreuzt werden wird man auch kaum von Frankensteinfood sprechen wollen, wie das Gentechnkritiker oft und gerne tun.

Trotzdem ist es ein bisschen verfrüht, jetzt den virtuellen Hut vor Gesslers Werk zu ziehen und sich vor dem Wunder der Gentechnik zu verneigen. Gessler relativiert in der ETH-Mitteilung gleich selbst: Die Stimmung in der Schweiz sei zu gentechkritisch, um an einen Anbau überhaupt zu denken, meint er mit Blick auf das nach wie vor geltende Anbaumoratorium in der Schweiz sinngemäss. Das ist aber nicht das einzige Problem. Auch sein Produkt ist noch weit entfernt von Praxisreife: Die Resistenz funktionierte zwar im Treibhaus, was aber noch lange nicht heisst, dass das auch im Feld der Fall sein wird. Zudem warnt er gleich selber vor einem Resistenzdurchbruch. Mit nur einem einzigen Resistenzgen ist ein solcher in der Tat wahrscheinlich, weitere Resistenzgene sollen deshalb folgen, man darf gespannt sein, ob dies der Agroscope gelingen wird, die Gesslers Werk nach dessen Pensionierung fortsetzen will.

Im weiteren besteht keinerlei Grund, aufgrund von Gesslers Arbeit, die Kritik an der vorherrschenden Anwendung von grüner Gentechnik zu mildern. Konservativ geschätzte 95 Prozent des Marktes werden von einer Handvoll Saatgut- und Pesitzidmultis beherrscht, welche mit herbizid- und insektenresistenten Pflanzen als Hebel die Märkte monopolisieren. Und das ist das deutlich grössere Problem als mögliche Auskreuzungen. Darüber darf man sich auch durch Gesslers Feigen- oder besser Apfelblaumblatt nicht hinwegtäuschen lassen. (Bild LID/Sebastian Stabinger)

Oliven, rezykliert

Oktober 28, 2013

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Wenn man schon paar Jahre bloggt, hat das den Vorteil, dass sich vieles wiederholt. Davon profitiere ich heute schamlos, bin grad auf und unter den Bäumen und empfehle deshalb dieses alte Artikeli. A presto con saluti!

Mindestlöhne: Nein, weil „Ja aber“ nicht geht

September 29, 2013

Ernte im GemüsebauDiese Woche hat die Mindestlohninitiative Schlagzeilen gemacht: Der Ständerat empfahl sie klar zur Ablehnung. Das Volksbegehren des Gewerkschaftsbundes verlangt für eine 42-Stunden-Woche mindestens 4000 Franken, was einem Stundenlohn von 22 Franken entspricht. Die Annahme der Initiative beträfe auch die Landwirtschaft stark. In der Branche gilt derzeit ein Mindestlohn von 3170 Franken für eine 55-Stunden Woche. Umgerechnet müssten die landwirtschaftlichen Arbeitgeber neu über 5000 Franken bezahlen, eine Lohnerhöhung um rund zwei Drittel, wie der „Schweizer Bauer“ in seiner Wochenendausgabe vorrechnete.

Die Diskussion der Initiative wirft zunächst einmal ein ziemlich ungünstiges Schlaglicht auf diverse Aspekte der Ökonomie im Hochpreisland Schweiz: Laut den Initianten verdienen 150 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Berufslehre weniger als den von den Gewerkschaften geforderten Lohn (und das nota bene ohne 13. Monatslohn). Das ist umso störender, als dass das Existenzminimum von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe auf gut 3800 Franken veranschlagt wird.

Was die Landwirtschaft angeht, ist die Lage etwas komplexer. Die Löhne hängen gerade in arbeitsintensiven Bereichen wie dem Gemüse- und Fruchtbau stark ab vom Preisniveau. Eine Lohnerhöhung bei den vorwiegend ausländischen Erntehelfern ist deshalb kaum realisierbar, ohne dass dieses steigt. Dass eine solche Erhöhung gegenüber dem Handel durchsetzbar wäre, daran glauben selbst die grössten Optimisten nicht. In der Tendenz werden die Preise ungeachtet der saisonalen und wetterabhängigen Schwankungen auch in Zukunft eher sinken oder im besten Fall stagnieren.

Nicht erstaunlich, dass die Gemüsebauern ihren Befürchtungen schon lautstark Ausdruck geben, zum Beispiel in einem Artikel im „Tages-Anzeiger“, den ich leider mangels Vorhandensein nicht verlinken kann. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die Gemüseproduzenten mit dem aktuellen Mindestlohn an die Schmerzgrenze sind, eine moderate Erhöhung wäre sicher möglich. Auch weiss man, dass wie in jeder Branche Lohndrücker vorkommen, denen etwas Druck nicht schaden würde.

Eine Lohnerhöhung um 66 Prozent ist aber schon etwas des Guten zuviel. Zumal die drohenden Konsequenzen kaum im Sinne der häufig langjährigen und deshalb – so hört man und hofft, dass es stimmt – oft auch mehr oder weniger deutlich über dem Mindestlohn bezahlten ausländischen Arbeitskräfte lägen. Wenn ihre Arbeit durch gesetzliche Regelungen massiv verteuert würde, gingen fast sicher Stellen verloren, an denen Tausende von Existenzen in Weissrussland, Moldawien und der Ukraine hängen. Deshalb würde ich derzeit ein Nein in die Urne legen. Auch weil ein „Ja, aber“ nicht geht. (Bild LID)

Agrentina (1): 3 sehr verschiedene Quereinsteiger

August 30, 2013

Damian ColucciArgentina, was für ein magisches Versprechen, was die Landwirtschaft angeht. Aber auch viele Negativschlagzeilen in letzter Zeit: Eine Invasion von Agrochemie-getriebenem Sojaanbau, eine Präsidentin, die mit üblen Exportsteuern die einheimischen Produzenten ruiniert sowie Fleischkonsumenten, die ihre karnivoren Qualitäten vernachlässigen und immer weniger Rindfleisch essen.

Höchste Zeit also für einen Augenschein. Der nächste Woche stattfindende Kongress des Internationalen Agrarjournalistenverbands IFAJ (mehr folgt) war mehr als ein guter Grund, die weite Reise unter die Flügel zu nehmen. Ich bin einige Tage vorher aufgebrochen, um mit meinem alten Agrarjournalisten-Kumpel David Eppenberger und Romano Paganini, einem jungen, nach Argentinien ausgewanderten Schweizer ein paar Betriebe zu besichtigen. Nach zwei Tagen in der Pampa ist mir aufgefallen, dass fast alle, die wir besucht haben ausserlandwirtschaftliche Quereinsteiger waren.

Das hat auch damit zu tun, dass man Landwirtschaft in Argentinien on the Job lernt. Die Landwirtschaftsschulen sind für Agronomen vorgesehen, aber eine Lehre in unserem Sinne existiert nicht. Zudem ist die Landwirtschaft hier ein Eldorado für Anhänger des freien Markts. Auf die Frage, ob sie der Staat in irgendeiner Weise unterstütze, pflegten die Bauern in bitteres Gelächter auszubrechen. Das Gegenteil sei der Fall, hiess es übereinstimmend. Die schmalen Gewinne an der Scholle würden systematisch abgeschöpft, um der klammen Bürokratie zugeführt zu werden. Die Bauern reagieren unterschiedlich auf diese Situation.

Damian am Säen mit sechs PferdenDamian Colucci (Bild ganz oben) ist 33 und lebt gemeinsam mit seiner Frau Mariana den Prinzipien von Masanobu Fukuoka nach. Der 2008 verstorbene japanische Permakultur-Vorreiter war seinerseits Quereinsteiger und wurde nach seiner Tätigkeit als Mikrobiologe zum Bewirtschafter. Kurz zusammengefasst propagierte er eine Landwirtschaft der Gelassenheit. Möglichst wenig Intervention, Pflanzen und Tiere dazu ertüchtigen, dass sie auch ohne Agrochemikalien gut gedeihen, innerbetriebliche Ernährungssouveränität und ein minimaler Maschinenpark. Er sät seine rund 70 Hektaren Acker mit Pferdegespannen (siehe Bild links, maximale Tagesleistung 5-6 Hektaren, Pflug maximal 1 ha pro Tag). Der Stadtbub Damian ist in Buenos Aires aufgewachsen, pilgerte als junger Mann zu Fukuoka und konnte dank finanzieller Unterstützung durch den Vater vor 12 Jahren in die Landwirtschaft einsteigen. Neben den Tieren aus seiner Weidemast verkauft er Mehl aus der eigenen Mühle, Eier und ab und zu andere Produkte.

Edit und Pedro AlemanGanz anders arbeiten Edit und José Aleman (Bild Mitte), die südlich von Mar del Plata in der Pampa humeda (feuchte Pampa) Gemüse anbauen. Sie versorgen mit ihrem Gemüse die Grossmärkte in Buenos Aires und Mar del Plata. Vor 30 Jahren sind sie als praktisch mittellose Einwanderer aus Tarija in Bolivien nach Argentinien gekommen, heute bewirtschaften sie einen DSC03887intensiven Gemüsebetrieb von 30 Hektaren Grösse und haben sich dank ihrer Tüchtigkeit laut ihrem Nachbarn Mario, dem lokalen Gemüsebauberater ein stattliches Vermögen erarbeitet. Die Alemans stehen für ein interessantes Phänomen. In der Region Mar del Plata beherrschen Bolivianer mittlerweile einen Grossteil des Gemüsegeschäfts. In Tellerwäscher-, beziehungsweise Salatschneiderkarrieren haben sie sich von Landarbeitern zu Besitzern hochgearbeitet und in dieser Funktion die vorher marktbeherrschenden Italiener abgelöst.

Noch einmal ganz anders ist das Profil von Pablo, der uns seinen Familiennamen nicht mitgeteilt hat. Er nennt 10 Hektaren Land sein eigen und ist nicht ein eigentlicher Bewirtschafter sondern ein Dienstleister für die Bauern. Er hat Platz für 3000 Stück Vieh, besitzt aber kein einziges. Landwirte in der Umgebung liefern ihm gut 200 Kilo schwere Tiere, die er auf 320 bis maximal 350 Kilo aufmästet, bevor die Tiere dann in eines der Schlachthäuser der Region gebracht werden. Für seine Dienste lässt er sich mit 3 Peso pro Kilogramm Zuwachs abgelten, das sind rund 20 Prozent des Preises, den die Bauern pro Kilo Lebendgewicht im Schlachthof erhalten. Als Zahlung nimmt er auch Mais und Getreide von den Bauern entgegen. Die Überschüsse aus diesen Lieferungen lässt er dann zu Futtermitteln verarbeiten. Pablo informiert uns im breitesten kalifornischen Slang, ist er doch als Sohn eines Arztes teilweise in den USA aufgewachsen. Für den smarten Unternehmertyp ist die Landwirtschaft ein gutes Geschäft, sollte es nicht länger rentieren, würde er wohl emotionslos das Business wechseln. Das einzige, was ihn mit Damian verbindet, ist dass beide mit den in Argentinien am weitesten verbreiteten Rassen Black Angus und Hereford arbeiten.

Pablo, die Alemans und die Coluccis: Alle drei stehen sie für typische Phänomene in der argentinischen Landwirtschaft. Ersterer für die Industrialisierung der Landwirtschaft, für die auch die radikale Ausbreitung des Cashcrop-Anbaus namentlich der (GVO-)Soja im letzten Jahrzehnt ein typisches Beispiel darstellt. Zweitere für die Chancen, die sich in der zwar staatlich vernachlässigten aber gleichzeitig völlig liberalisierten Landwirtschaft für tüchtige Leute bieten und Letztere für die Reaktion auf Industrialisierung und Rationalisierung: Den Weg in die Selbstversorgung verbunden mit dem Rückzug in die Einsamkeit der grenzenlos gross scheinenenden Pampas.

Pablo, owner of a feedinglot