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Ein Tag im Glashaus mit einem Konsumenten

Mai 4, 2013

NierstückDas Leben als sogenannt bewusster Konsument ist interessant aber nicht ohne Tücken. Nehmen wir einen Tag im Leben eines zufällig ausgewählten Konsumenten, aus naheliegenden Gründen mich, zum Beispiel heute.

Es fängt an mit dem Plakat vor dem Quartier-Coop. Ein weitgereistes Nierstück, denkt man sich, innerlich schon distanziert. Aber sicher nicht für mich. Und das schöne Märgeli für dich, gell Coop. Hier gibts für mich stattdessen heimische Bio-Milch und -Zopf . Das sorgt schon mal für ein gutes Gewissen. 

TomateWeiter gehts, Erwerb von Tomatensetzlingen von der Stiftung Arche am Viadukt, die dann auch umgehend eingepflanzt werden. Das verstärkt die Pluspunkte. Pflanzenmaterial aus einem Sozialprojekt im mit eigenem Kompost angereicherten Boden im Pot, das ist fast nicht zu toppen.

FussballplätzeNächster Stop: Migros Limmatplatz. Dort ein Plakat, wo Jeremy 140 Fussballfelder voll Bio-Weizen versprochen werden. Ob der sich freut? Der spielt wohl lieber Fussball, als sich über den umweltpolitisch korrekten Getreideanbau Gedanken zu machen.

Für mich dagegen die Qual der Wahl. Zum Znacht solls Paella, unter anderem mit Poulet, geben. Bei der Fleischtheke entscheide ich mich für das Aus-der-Region-Poulet aus Standardhaltung, besser als Brasilien. Es gäbe zwar auch Séléction-Pouletbrust Bio, aber die 15 Franken für gut 200 Gramm sind mir ehrlich gesagt zuviel, zudem will ich gar nicht Brust sondern Schenkeli.

PaellaDas Resultat. Neben dem Poulet wurden von den TischgenossInnen auch Crevetten gewünscht. Die sind zwar Bio, aber aus Vietnam. Zwar soll die Zucht dort einigermassen umweltverträglich sein (hoffentlich habe ich das nicht in der Coop-Zeitung oder im Migros-Magazin gelesen…), aber trotzdem nicht gerade ein Ruhmesblatt.

KompostDa kommt das Kompostieren grad kommod zur Gewissensberuhigung. Aber oha, zwischen heimischen Kartoffelschalen und Apfelkernen die Überreste der letzten Party: Limetten aus Brasilien… Zum Glück sind morgen die Läden zu.     

M-Alnatura: Institutionalisierte Einkaufstouristin

September 6, 2012

Vor einigen Tagen hat die Migros ihren ersten Alnatura-Shop eröffnet. Das Konzept für den Bio-Supermarkt ist vom deutschen Unternehmer Götz Rehn entwickelt worden. Zunächst begann man mit einem Shop-in-Shop-Verfahren mit Alnatura-Ecken in anderen Supermärkten, später, 1987, wurde in Mannheim der erste Laden eröffnet, wie man im umfassenden Wikipedia-Eintrag nachlesen kann.
Das reich Preis-dekorierte Unternehmen hat mittlerweile 70 Filialen in Deutschland und 35 Jahre nach der Eröffnung des ersten Ladens gibt es nun auch einen in der Schweiz. Zu verdanken ist dies der Migros, die mit Alnatura eine Partnerschaft eingegangen ist.
Ich habe mir das 460 Quadratmeter grosse Geschäft in Höngg zweimal angeschaut. Der geräumige Laden ist gut dotiert mit rund 5000 Produkten. Rund 10 Prozent stammen aus dem Migros-Bio-Sortiment, 20 Prozent sind Eigenmarken von Alnatura. Der Rest besteht aus einem Mix von in- und ausländischen Bioprodukten, wobei die meisten der importierten Produkte auch im deutschen Alnatura-Sortiment zu finden sind. Namentlich die Frischprodukte stammen erfreulicherweise grösstmehrheitlich aus der Schweiz, dabei sind auch kleinere Produzenten ins Sortiment aufgenommen worden, darunter die Sennerei Bachtel und die Holzofenbäckerei Vier Linden.
Was die Preisgestaltung angeht wirkt das Niveau vernünftig, wenn man sich an Schweizer Supermarkt-Bio-Verhältnisse gewohnt ist. Interessant ist an der Neueröffnung für Detailhandelsspezialisten (zu denen ich mich nicht wirklich zählen möchte, aber ich finde es trotzdem interessant), dass zwischen der neuen Filiale in der Schweiz und den bestehenden in Deutschland ein Preisvergleich von identischen Produkten möglich ist, was auch einige Aufschlüsse über die Marge erlaubt.
Migros ist – was die übernommenen Teile des Sortiments angeht – eigentlich nichts anderes als ein Einkaufstourist, der bei Alnatura ennet der Grenze postet und dann im eigenen Laden in der Schweiz weiterverkauft. Diesen Vergleich wollte ich mir nicht entgehen lassen, also pilgerte ich diese Woche in den Alnatura-Laden in Konstanz, um den Vergleich zu machen (siehe Tabelle unten).
Die zufällig ausgewählten Produkte kosten in der Schweizer Filiale – wenn man mit einem Eurokurs von Fr. 1.20 rechnet – zwischen 0 und 67 Prozent mehr, als in Deutschland. Spitzenreiter sind Bio-Penne von Alnatura, eine Fruchtschnitte von Rapunzel, zwei Tofuprodukte, ein Schafmilch-Joghurt und eine Pflegecrème von Weleda, die alle in etwa die Hälfte mehr kosten als in Deutschland. Daneben gibt es aber auch einige nur knapp teurere Produkte, am geringsten ist der Aufschlag bei Corn Flakes (0%) und Café von Alnatura sowie einem Feta eines Drittlieferanten.
Ich gehe über den Daumen gepeilt von einer durchschnittlichen Preisdifferenz von 33 Prozent aus. Davon dürften je nach Produkt etwa die Hälfte draufgehen für Zölle (ausser dank Freihandelsabkommen beim Käse, deshalb ist der Feta wohl so günstig), für Transportkosten und für die Kommission, die Migros an Alnatura entrichtet. Von den restlichen rund 15 Prozent Differenz, kann man gut fünf für die höheren Löhne in der Schweiz abziehen. Unter dem Strich verbleiben für Migros gegenüber dem, was Alnatura in Deutschland abschöpft, zusätzliche zehn Prozent Opportunitätsmarge, die man einstreichen kann, weil die Kaufkraft in der Schweiz höher ist und die Biokonsumenten weniger preissensibel als Discountkunden sind. Man möge mich von berufener Stelle korrigieren, wenn diese Schätzung zu hoch (oder zu tief) ist. (Bild Jegen Ladenbau)

Gute Frage: Kann Bio die Welt ernähren?

März 28, 2012

Vor ein paar Tagen ist mir ein Prospekt des Hilfswerks Biovision ins Haus geflattert. Dieses wurde vom renommierten Schweizer Insektenforscher Hans Rudolf Herren gegründet und hat sich das Empowerment der Kleinbauern in der dritten Welt mit Hilfe von Biolandbau auf die Fahne geschrieben. Dort setzt Biovision an, weil 70 Prozent der Nahrungsmittel weltweit von Subsistenzlandwirten produziert werden. Soweit ich es beurteilen kann, haben die Projekte von Biovision Hand und Fuss. Man arbeitet mit einfachen Projekten: Mischkulturen, Schnellkomposter, geschlossene Kreisläufe auf den Betrieben. Nun postuliert die Organisation in ihrem Prospekt, dass Bio die Welt ernähren kann. Trotz meinem Respekt für die Seriosität der Arbeit von Herren und seinem Team sei die Frage erlaubt: Kann Bio wirklich die Welt ernähren? Hätte ich die korrekte Antwort parat, wäre mir ein Professorenpösteli an der ETH wohl sicher. Auf der Suche nach der richtigen Replik fand ich im Internet einen interessanten Artikel der linken deutschen „Tageszeitung“ aus dem Jahr 2008. Darin kommen Agrarexperten laut dem Autor zu  folgendem Schluss: „100-prozentig konventionell kann man die Menschheit nicht ernähren, ohne unvertretbaren Schaden anzurichten – aber 100 Prozent Öko geht auch nicht“. Dieselben Experten empfehlen eine wohldosierte Mischung von ökologischem und konventionellem Landbau. Wo immer möglich auf hofeigene Dünger setzen, mit Leguminosen den Stickstoffeintrag fördern und wo nötig mit synthetischen Düngern nachhelfen. Eine vollständige Umstellung von ganzen Drittweltländern auf Biolandbau würde diese noch tiefer in die Abhängigkeit von (meistens nicht biologisch erzeugten) Importen drängen, denn die Erträge sind im Biolandbau, das schleckt keine Geiss weg, tiefer. Umgekehrt ist die intensive konventionelle Landwirtschaft für die Kleinbauern ebenfalls kein vielversprechender Weg: Sie laufen Gefahr, sich mit Pestiziden zu vergiften, ihre Böden auszulaugen, in finanzielle Abhängigkeiten zu geraten und am Schluss mit abgesägten Hosen dazustehen. Gerade heute ist mir in der „Bauernzeitung“ ein Artikel aufgefallen, der dies exemplarisch zeigt. In Argentinien, so berichtet Auswandererin Marianne Winkelmann aus der Region Entre Rios, haben die Bauern grosse Probleme mit der GVO-Soja, einem teuren Produkt aus dem Hause Monsanto. Nachdem man 10 Jahre herbizidresiste Roundup-Ready-Soja gesät hat, sind die Felder heuer überwuchert mit dem Unkraut namens Rama Negra, dieses ist nämlich unterdessen resistent gegen den Roundup-Wirkstoff Glyphosat. 
Entscheidender als die Frage, ob Bio die Welt ernähren kann ist wohl diejenige, wie sich der Mensch künftig ernähren will, denn unbestrittenermassen kann die Welt auch die doppelte Menge Menschen ernähren. Allerdings wird dies sehr schwierig, wenn der Fleischkonsum, der für die Produktion bis zu 20mal mehr Fläche braucht als die Erzeugung pflanzlicher Kalorien, weiter ansteigt. Das Problem ist aber, dass mit steigendem Wohlstand, und diesen wollen wir niemandem in der zweiten und dritten Welt missgönnen, so sicher wie das Amen in der Kirche ein erhöhtes Bedürfnis nach Auto-Mobilität und Fleisch einhergeht.