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„Ich wünsche mir mehr Mut von den Bauern“

Februar 3, 2014

FiBL-StallVor fast genau fünf Jahren habe ich hier erstmals in die Tasten gegriffen als Agroblogger (Wir Berner kommen meistens einen Tag verspätet, dafür bleiben wir dann umso länger).

Im ersten Beitrag „Kühe mit Hörnern – das geht“ ging es damals um die Doktorarbeit von Claudia Schneider einer Mitarbeiterin des Forschungsinstituts für Biolandbau (FiBL), wo ich lustigerweise unterdessen angestellt bin. Auslöser war damals eine Medienmitteilung in der das Merkblatt vorgestellt wurde, in dem Claudia ihre Erkenntnisse aus der Diss verarbeitet hatte. Dieses Merkblatt gibt praktische Anleitungen, wie ein Laufstall für behornte Kühe dimensioniert sein muss. Von jetzt an konnte erstens niemand mehr sagen, dass es nicht geht und zweitens, dass man nicht wisse wie; zwei gerne gehörte Argumente gegen behornte Kühe im Laufstall. Das kleine Jubiläum ist ein guter Grund, fünf Jahre danach ein paar Worte mit Claudia zu wechseln. Hier – eine Première – das erste Interview aller Zeiten auf dem Agroblog.

Schneider ClaudiaClaudia, was haben Doktorarbeit und Merkblatt bewirkt?
Claudia Schneider: Gute Frage… Kurz nach dem Erscheinen des Merkblatts hatte ich schon ein paar Anfragen, auch aus dem Ausland, allerdings eher, was die wissenschaftliche Seite angeht.

Jetzt sind fünf Jahre vergangen, wie bist Du zufrieden mit dem Forstschritt?
Mit dem Merkblatt haben die Bauern eine Anleitung zur Hand. Die Ställe für Kühe mit Hörnern werden heute anders gebaut, vorher hatte man einfach die Normmasse für hornlose Kühe und baute dann so.

Gibt es jetzt eine grosse Bewegung in Richtung Laufställe für behornte Kühe?
Nein, das glaube ich nicht, obwohl es ja dann noch etwas weiterging, KAGfreiland machte die Hornauf!-Kampagne, die IG Hornkuh macht Druck für Direktzahlungen für behornte Kühe aber Massenbewegung ist es leider keine geworden (lacht). Aber sicher überlegt sich‘s der eine oder andere doch vielleicht noch, ob es nicht vielleicht mit Hörnern gehen könnte. Man kann jedenfalls heute nicht mehr behaupten, dass es gar nicht ginge im Laufstall mit Hörnern, wie das vorher noch an der Tagesordnung war.

Man hat jetzt quasi mit Hilfe von Anschauungsbeispielen bewiesen dass es geht?
Genau, die sind jetzt auch etwas publik geworden und man hat davon gehört.

Wieviele Laufställe für behornte Kühe gibt es denn unterzwischen in der Schweiz?
Gute Frage, ich habe ja selber über hundert gesehen, aber davon war natürlich auch ein Teil in Deutschland oder Österreich, und ich höre immer wieder, hier gibt es noch einen und dort, ich kenne sie natürlich auch nicht alle, aber vermutlich sind es um die hundert.

Es gibt also keine amtlich beglaubigte Liste der Laufställe für behornte Kühen?
Nein, leider nicht. Ich sag das ja immer: Von den Milchkühen wird alles erfasst, wie gross, wie breit, wie lang, wieviel Milch, was für Milch, aber es wird nicht erfasst, ob sie ein Horn haben oder nicht, das ist schon schade (lacht), das wäre ja kein Problem, es bräuchte nur ein Kreuzchen mehr. Wenn jetzt die Direktzahlungen für Hörner kämen, dann wäre es für die Zuchtverbände wohl überhaupt kein Problem, auf dem Formular noch ein zusätzliches Kästchen einzurichten.

Welche Chance siehst Du für den Hörnerfranken?
Keine Chance nicht, aber was man so hört, deutet eher darauf hin, dass es schlecht aussieht, aber Armin Capaul (Co-Präsident IG Hornkuh, Red.) ist schon sehr kämpferisch, das ist gut.

Aber die meisten Bauern, selbst solche mit Hornkühen, mögen sich nicht gross engagieren für den Hörnerfranken, an was liegt das wohl, haben sie Hemmungen?
Das stimmt, sie sind mehrheitlich zurückhaltend, das Problem ist vielleicht, dass die Zuchtverbände bis in den Mutterkuhbereich von einer Diskriminierung durch den Hörnerfranken sprechen, aber es würde ja niemand diskriminiert, sondern nur diejenigen gefördert, die Hörner behalten.

Genieren sich die Bauern ein bisschen?
Ja das kann sein, aber es ist schwierig zu sagen, wieso nicht mehr Bauern aufgestanden sind.

Hast Du das Gefühl, dass die Zahl der behornten Kühe weiter abnimmt, oder können wir das stabilisieren?
Diese Hoffnung habe ich schon, ja. Auch dank dem, dass es ein Thema ist. Egal bei welchem Anlass du mit ein paar Bauern zusammensitzt, kommt dieses Thema fast immer auf den Tisch, das ist ja schon noch interessant.

Siehst Du noch weitere Massnahmen abgesehen vom Hörnerfranken, die helfen könnten, Druck von Seiten Tourismus zum Beispiel?
Warum nicht, aber auch die Konsumenten sind sehr empfänglich dafür, sehr viele würden gerne etwas dafür tun, ich habe viele Spendengelder von Konsumenten für mein Projekt erhalten, aber das ist halt wie mit allem, wenn man etwas neues macht, zum Beispiel Hornmilch im Grossverteiler anbietet, lässt man das bestehende Produkt schlechter aussehen, das ist genau so, wie mit der Antibiotikafrei produzierten Milch, das heisst dann für die Konsumenten, aha in der Packung neben dran sind Antibiotika drin. Vielleicht müssten auch die Verbände ein bisschen hinstehen und sich für Hörner ins Zeug werfen, zum Beispiel Bio Suisse. Aber selbst KAGfreiland hat es nicht ganz geschafft,  in den Richtlinien steht dort nur, dass Milch von hornlosen Kühen nicht als KAG-Milch vermarktet werden darf, aber nicht, dass KAGfreiland-Betriebe behornte Kühe haben müssen.

Hast Du noch grad einen Wunsch an die Behörden, den Du gerne deponieren möchtest?
Ja, es ist schon noch immer so, dass Bauern, die gemäss Merkblatt etwas grösser bauen wollen wegen den Hörnern mit der Bewilligung Mühe haben, vor allem mit den kantonalen Behörden. Das hängt natürlich teilweise auch mit den Finanzen zusammen, aber grundsätzlich wünsche ich mir da mehr Verständnis.

Was wünschst Du Dir von den Bauern?
(Überlegt) Manchmal braucht es neben Geld auch etwas Mut, sie sollten sich einfach nicht Angst machen lassen, wen jemand will, dann kommt das gut mit Hörnern.

Danke für das Gespräch und weiter viel Glück im (behornten Lauf-)Stall, Claudia!

Jubiläumswettbewerb und alles Brimborium, was so dazu gehört folgt natürlich auch noch, aber zunächst einfach mal herzlichen Dank für die Treue, Kritik, Inputs, Kuhbilder etc! (Im Bild oben der FiBL-Stall, Bild von Claudia Schneider und das unten vom Herternhof in Wettingen: Thomas Alföldi, FiBL)

PS. Das schöne an einem Blog-Interview ist, dass es sich noch weiterentwickeln kann. Blogleser und Braunviehzüchter Martin Haab aus dem Säuliamt will noch etwas mehr wissen:
„Lieber Adi“, schrieb er mir auf Facebook, „eine Frage hast Du Frau Schneider nicht gestellt, es nähme mich wunder was sie von den Anstrengungen der Züchter und der Zuchtverbände im Hinblick auf die genetische Hornlosigkeit hält. Mit der Genomanalyse kommen wir diesem Ziel in riesen Schritten entgegen. Ich wage mal zu behaupten, dass in 4-5 Jahren bei allen Hauptmilchrassen sehr gute homozygote Stiere im Angebot sind.“
Claudia Schneider: Es ist unbestritten, dass es dem Tierwohl dient, wenn auf das Enthornen verzichtet werden kann, was ja nicht nur bei Tieren mit Hörnern, sondern auch bei genetisch hornlosen der Fall ist. Allerdings sollten wir erst abklären, welche Bedeutung die Hörner für die Kühe haben, bevor wir sie Ihnen wegzüchten. Die Funktion der Hörner im Sozialverhalten sind zum Teil schon beschrieben, aber warum haben Kühe mit unterschiedlicher Futtergrundlage unterschiedliche Hörner und warum haben Kühe mit Hörnern andere Schädelformen als solche ohne? In einem Projekt von Agroscope und FiBL wird in mehreren Untersuchungen zum Sozialverhalten, zum Verhaltensrepertoire und auch zur Selbstwahrnehmung von behornten, enthornten und genetisch hornlosen Kühen die Bedeutung der Hörner zu erforschen versucht, um daraus Schlüsse zu den Auswirkungen des Hornstatus auf den Herdenverbund und das Wohlbefinden der Tiere ziehen zu können.
Alfoeldi_LiegeboxenHerterenhof

Trashiges aus’m internetten Agrarvideoschaffen

November 30, 2013


Aus aktuellem Anlass heute mal ein kleiner Blick auf paar Agrarvideos im weiten Netz. Seit heute erscheint die Bauernzeitung online im neuen Kleid. Das ist nicht schlecht gelungen. Nicht, dass man das Internet neu erfunden hätte, aber im Vergleich zum Steinzeitauftritt von zuvor ein klarer Gewinn, sauber aufgeräumt, recht gut aktualisiert und mit allerlei neuen Features, zum Beispiel einem Blog des Chefredaktors, willkommen Kollege!

Das eindeutig aufsehenerregendste neue Format ist aber der Marktkommentar von Redaktor Hans Rüssli. Gefilmt vor einem naturgewaltigen düsteren Ölgemälde und geziert von der für helvetische Agrarexponenten fast obligaten Edelweisskrawatte verliest er ungerührt Marktentwicklungen im Fleischbereich, ohne die Kamera eines Blickes zu würdigen, während ihm eine unsichtbare weibliche Stimme aus dem Off die Stichworte liefert. Das ganze ist videotechnisch und punkto Regie derart steinzeitlich, dass es fast schon wieder gut ist. Ob das emotionsarme Format grad Kultcharakter entwickeln wird, wie man in der Redaktion vermutet, wird sich weisen müssen.


Der Video-Marktkommentar in der „BauZ“ ist kein schlechter Ausgangspunkt für einen kleinen Tour d’horizon in Sachen Agarvideoschaffen im Internet. Da war namentlich der „Schweizer Bauer“ einst pionierhaft. Als Redaktor K. vor gefühlten zehn Jahren an Pressekonferenzen statt zu fotografieren die Kamera erstmals auf ein kleines Stativ stellte, endlose Statements aufnahm und dann am Schluss noch ein freches Videointerview führte war das eine ziemliche Revolution im Agrarsektor. Leider ist es den Pionieren nicht gelungen, ihre Innovation zu professionalisieren und führend zu bleiben. Das Traktorfilmli oben ist ein gutes Beispiel. Präsentatorin Andrea macht ihre Sache zwar nicht einfach schlecht, aber sie war offensichtlich sich selber überlassen und das Fehlen von Regie macht das ganze hölzern. Dazu kommen komische Bildeffekte, die vermutlich aus einem Freeware-Programm stammen.


Da sind andere deutlich weiter, zum Beispiel die Firma bauernfilme.ch von Markus Gerig, der den beiden grössten Agrarblättern längst das Wasser abgegraben hat, dort wo es überhaupt nötig war. Seine Filme wirken wie aus einer anderen Welt. Man schaue beispielsweise obenstehenden Film, der für ein Lohnunternehmen realisiert wurde. Die Aufnahmen, viele davon mit einer Kameradrohne, einem sogenannten Quadrocopter realisiert haben schon fast glamourösen Charakter. Schöner könnte das auch kein Kanadier inszenieren.


Dasselbe gilt für das österreichische Portal landwirt.com, notabene ebenfalls Sprössling einer traditionsreichen Landwirtschaftszeitung. Die Printherkunft muss also keineswegs dazu führen, dass das Videoschaffen wirkt, als ob es aus dem letzten Jahrhundert (und nicht den letzten Jahren davon) käme. Was man allenfalls kritisieren kann ist, dass wie im eingebetteten Beispiel eine einzige Maschine im Mittelpunkt steht, was den Vergleich mit anderem Gerät ausschliesst. Und wiederum den Nutzen für den Seher dadurch stark reduziert wird.


Da lob ich mir den Youtube-Kanal vom FiBL, und zwar nicht nur weil ich dort jetzt Lohn nehme. Mein Kollege Thomas Alföldi ist ein Selfmade-Talent, das sich aber bei schwierigeren Fällen nicht scheut, Hilfe von Profis, zum Beispiel bauernfilme.ch, anzufordern. Das Resultat sind für Internet-Verhältnisse sehr solid gemachte Filme, die gleichzeitig Vergleichsmöglichkeiten bieten.

Boliviagronomia (2): Fernab vom Elfenbeinturm

August 28, 2013

Ein Versuchsmitarbeiter erklärtForschern wird ja gerne vorgeworfen, dass sie mit Vorliebe im Elfenbeinturm des warmen Labors agieren, um dort Erkenntnisse zu erarbeiten, welche die Praxis im rauen Umfeld des Alltags umzusetzen hat.

Für den bolivianischen Vergleichsversuch des FiBL gilt das definitiv nicht. Am vergangenen Wochenende trafen sich dort fernab von Elfenbeinturm und grossräumiger Zivilisation rund 250 Produzenten, Berater, Wissenschaftlerinnen und Studenten und zahlreichen Partnerorganisationen zum Stelldichein.

Der Weg in die ZivilisationNatürlich mache ich mich hier und jetzt wieder verdächtig, das Lied meines neuen Arbeitgebers zu singen, aber was ich im bolivianischen Hinterland am Fuss der Anden angetroffen habe, hätte mich auch ohne Lohn aus Frick beeindruckt. Die Versuchsflächen liegen rund eineinhalb Stunden von der nächsten Ortschaft Sapecho mit seinen paar hundert Einwohnern entfernt. Der Mikro-Weiler Sara Ana bietet ausser der Arbeit und üppigem Grün wenig Ablenkungsmöglichkeiten. Und auch am Wochenende, das die Belegschaft meistens in Sapecho verbringt, kann man nur träumen von kulturellem Rahmenprogramm oder Lodges zur Entspannung. La Paz wiederum, wo das Grossstadtleben lockt, ist im Optimalfall in sieben Stunden zu erreichen, wenn es so regnet wie letztes Wochenende kann es aber auch dreizehn Stunden gehen, wie ich erfahren musste.

Forscherin Wiebke Niether im RegenAll die Leute, die ich dort angetroffen habe, Bolivianerinnen, Deutsche und Schweizer, lassen sich von dieser Abgelegenheit wenig anmerken. Mit ziemlich unermüdlichem Elan stürzen sie sich in die Arbeit, am letzten Wochenende war dann vieles für die Katz, weil die vorbereitete Infrastruktur wegen sintflutartiger Regenfälle gar nicht benutzt werden konnte. Dass das Internet, die einzige Kommunikationsmöglichkeit in Sara Ana bei nassem Wetter nicht läuft: Was solls?

Regengeprüfte KongressteilnehmerDieselbe Gelassenheit legten übrigens auch die Besucher und Besucherinnen an den Tag, die für die Teilnahme am dritten nationalen Agroforst-Kongress für bolivianische Verhältnisse stattliche Teilnahmegebühren bezahlt hatten. Kein Wort der Klage über Feldbesichtigungen im strömenden Regen, holprige Fahrten auf Ladebrücken, Verspätungen und andere Inkonvenienzen. Das war nicht nur eindrücklich, sondern auch inspirierend, ich versuchte mir wieder einmal ein Scheibchen von diesem stoischen Umgang mit derartigem Ungemach abzuschneiden, werde mich aber sicher schon bei der nächsten 5-minütigen S-Bahn-Verspätung wieder aufregen…
Auf dem Weg von Sara Ana nach SapechoPS. Sorry an alle Mailfollower, die erste Version ging etwas verfrüht und unkomplett ins Netz, aber darüber werden Sie sich nicht aufregen, oder;-?

Vive le Gruyère, mais moins concentré, svp.

Juli 23, 2013

Gruyère comme il fautPour ce sujet là,il faut que j’essaye en français fédéral (deutsche Übersetung unten), éxcusez les puristes de la langue de La Fontaine. Le Gruyère, l’ancien petit frère de l’Emmental, devenu grand frère entre temps, nage sur une vague de succès. Grace à un contrôle de production et un carnet de charges très sévères, l’Interprofession et la branche réalisent des beaux profits pour tous les participants du marché avec un prix de lait au dessus de 80 centimes, pendant que les producteurs du lait pour l’Emmental doivent se contenter avec un peu plus que 50 centimes bien qu’ils produisent le même lait cru que les collègues outre Sarine.

Mais dans cette jolie histoire il y a une tâche noire, qui n’est pas aussi décorative, que sur la peau des vaches en Romandie. Il s’agit de l’affouragement. Jusqu’à ici le carnet de charge permet jusqu’à trente pourcents de concentrés dans la ration des productrices de lait („Le 70 % de la ration calculée en matière sèche (MS) du bétail laitier dans son ensemble doit provenir de la surface fourragère de l’exploitation“). Cela veut dire, que pas moins d’un tiers du fromage peut consister indirèctement d’ingrédients qui sont produits des milliers de kilomètres loin de la zone de production. Un fait qui ne se fait pas très bien dans le joli prospectus du Gruyère AOC.

Un nouveau projet lancé cette année pourra peut-être changer ces conditions doutables. Il s’appelle „Progrès Herbe“ et est porté par un groupe d’organisations largement basées (Prolait, IP Suisse, HAFL, Prometerre et FiBL). Le but: „soutenir les producteurs de lait vaudois dans leur démarche d’optimisation des fourrages locaux vers une autonomie fourragère croissante“. Je supporte ça. Il y a deux, trois facteurs qui me font optimiste. C’est pas un projet de „gauche“. Les traditionalistes y sont et ils supportent parce qu’ils ont realisé le danger potentiel pour leur cheval de garde, le Gruyère. Deuxièmement ont démarre gentiment avec une quinzaine d’exploitations et troisièmement c’est supporté finacièrement par les organisations et indirectement par l’état, ça aide toujours… (Image Laiterie de Belfaux)

Traduction:

Es lebe der Gruyère, aber mit weniger Kraftfutter, bitte

Die Erfolgsgeschichte des Gruyère ist geradezu beispielhaft dafür, wie man es auf dem Schweizer Milchmarkt richtig machen kann. Dank strengen Produktionsbeschränkungen und einem ebensolchen Pflichtenheft floriert der ehemalige kleine Bruder des Emmentalers, der diesen längst überholt hat. Während die Produzenten von Emmentalermilch gut 50 Rappen pro eingeliefertem Liter erhalten, sind es für die Gruyère-Produzenten über 80 Rappen, obwohl beide dieselbe Rohmilch produzieren.

Auf der schönen Weste des Westschweizer Vorzeigekäses gibt es aber einen dunklen Flecken, der sich weniger gut macht, als auf der Haut der Kühe ennet der Saane: Für die Produktion von Gruyère darf bis heute bis zu 30 Prozent der Ration als Kraftfutter verabreicht werden. Das heisst, rund ein Drittel des Käses kann indirekt aus Zutaten bestehen, die Tausende von Kilometern abseits des streng begrenzten Produktionsgebiets hergestellt wurden, kein Ruhmesblatt für den idyllischen Gruyère-AOC-Prospekt.

Nun scheint sich aber etwas zu tun. Eine Koalition von mehreren Organisationen aus dem Umfeld des Waadtländer Milchbauernverbands Prolait will mit Beteiligung von IP Suisse, Prometerre, HAFL und FiBL) für einen mindestens teilweisen Umschwung sorgen. Sie haben die Organisation Progrès Herbe (hier ein deutscher Beschrieb) gegründet. Diese will gemäss der Website Produzenten bei der Optimierung lokaler Futtermittel unterstützen, um so eine steigernde Futtermittel-Autonomie zu fördern. Das unterstütze ich. Drei Faktoren stimmen mich optimistisch. Erstens ist das Projekt breit abgestützt und nicht „links“. Zweitens beginnt man klein (mit 15 Betrieben) und will kontinuierlich wachsen. Drittens erhalten die Teilnehmer öffentliche Mittel zur Dämpfung der Kosten, das hilft immer…

Die kaum genutzte Win-win-win-win-win-Chance

April 26, 2012

Die eierlegende Wollmilchsau gibt es bekanntlich ja nicht. Sehr wohl aber die ohne Kraftfutter Milch gebende Kuh: Am Mittwoch hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) die ersten Ergebnisse des Projekts „Feed no Food“ vorgestellt und damit auch einiges Medienecho erzeugt (zum Beispiel hier und hier). Die Resultate sind keine Überraschung: Kühe können auch ohne Kraftfutter (dabei handelt es sich um Getreidemischungen, die teilweise energetisch zusätzlich aufgewertet werden) bis zu 8000 Liter Milch pro Jahr geben. Die eingesparten Futterkosten vermögen die reduzierten Einnahmen aus der Milchproduktion zu decken. Daneben hat sich bestätigt, dass man mit der auf Grünfutter (Gras, Heu und Grassilage) beschränkten Diät nicht nur Futterkosten, sondern auch Tierarzthonorare sparen kann. Ohne Kraftfutter ernährte Kühe hatten in den FiBL-Versuchsreihen etwas bessere Werte bei der Konstitution und bei der Eutergesundheit, als die Vergleichsgruppe mit Kraftfutter. Diese Ergebnisse bestätigen, die Erkenntnisse, die man mit neuseeländischer Genetik sowohl in deren Heimatland, sowie auch in der Schweiz gewonnen hat.
Viel überraschender als das Resultat ist für mich der Fakt, dass im Milchbereich nur ein verschwindend kleiner Teil der Bauern auf eine reine Grasfütterung setzt. Mit dem System lassen sich nämlich einige Fliegen auf einen Schlag erledigen. Ergänzend zu den erwähnten Kosten-Vorteilen, punktet Grünland-basierte Landwirtschaft in weiteren Bereichen, die für das Image der Landwirtschaft wichtig sind. Wer den Tieren kein potenziell für die menschliche Ernährung geeignetes Getreide vorsetzt (eben „Feed no Food“), hilft damit zumindest indirekt, die prekäre Ernährungssituation eines nach wie vor grossen Teils der Weltbevölkerung zu lindern. Zudem tragen diese Bewirtschafter stärker als ihre Kraftfutter-Kollegen dazu bei, dass die grossen Gebiete der Schweiz, wo nur Gras wachsen kann (zirka ein Viertel der Oberfläche), auch längerfristig bewirtschaftet werden. Damit leisten sie einen Beitrag zum Erfüllen der Verfassungsgrundlage der hiesigen Bauern. Ein weiterer Punkt schliesslich ist, dass mit dem gesenkten Leistungsdruck bei den Kühen der Antibiotikaeinsatz reduziert und damit Resistenzen vorgebeugt werden kann. Unter dem Strich würde ich sagen ist „Feed no Food“ etwa eine Win-win-win-win-win-Situation. Warum also die Zurückhaltung im Primärsektor? Ein Grund dürfte sein, dass die Kraftfutterindustrie nicht nur mit den landwirtschaftlichen Organisationen eng verbandelt ist, sondern auch ein gewichtiger Inserent der Landwirtschaftsblätter ist. Deshalb geht man dort sehr spartanisch um mit dem Thema und reagiert eher gereizt auf die entsprechenden Forschungsergebnisse. Bin mal gespannt, was uns „Bauernzeitung“ und „Schweizer Bauer“ in den nächsten Ausgaben berichten werden… (Bild FiBL)