Posts Tagged ‘Glyphosat’

Es läuft nicht Round für Glyphosat (& die Bauern?)

April 25, 2015

roundup-ultra-max-5lWie eine Chemiebombe hat Ende März im globalen Hilfsstoff-Business die Nachricht eingeschlagen, dass das Internationale Krebsforschungsinstitut IARC, eine Agentur der WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ („probably carcinogenic“) taxiert hat. Die Aufruhr ist nachvollziehbar: Der Totalherbizid-Wirkstoff ist für Branchenprimus und Erfinder Monsanto (Markenname Roundup) und zahlreiche Nachahmer viel mehr als ein Bestseller.

Glyphosat bildet das Rückgrat einer Strategie, mit der die Industrie in den letzten 20 Jahren Milliarden verdient hat. Die Interaktion mit den gegen Glyphosat resistenten („Roundup-ready“) Kulturpflanzen, namentlich Soja und Mais, ist seit den 1990er Jahren das erfolgreichste Geschäftsmodell der Branche. Es hat beispielsweise auf dem südamerikanischen Kontinent zu einer kompletten Umstrukturierung der Landwirtschaft geführt.

Die tubelisicheren Verdienstmöglichkeiten mit dem flächendeckenden Anbau des Cash-Crops hat die Rinderzucht ebenso verdrängt wie Spezialkulturen. Mit diesen arbeitsintensiven Landwirtschafts-Sektoren kam auch die ländliche Bevölkerung unter Druck, da zehntausende von Jobs verschwanden, das Resultat ist eine verstärkte Landflucht. Diejenigen die blieben tragen die Konsequenzen oft in Form von gesundheitlichen Auswirkungen. Mehr dazu zum Beispiel hier und hier.

Angesichts der starken Abhängigkeit der Firma von Glyphosat-Umsätzen ist es wenig erstaunlich, dass Monsanto mit einem Kommunikationsoffensive auf die Taxierung der IARC reagiert hat, unter anderem mit dieser ziemlich agressiven Mitteilung und einem wahren Twitter-Gewitter. Hauptaussage: Glyphosat ist sicher, das ist dutzendfach wissenschaftlich bestätigt und das IARC hat alte Daten falsch und voreingenommen interpretiert.

Es steht ja auch viel auf dem Spiel für Monsanto, nicht nur in Südafrika und in den USA, sondern auch auf dem europäischen Kontinent, wo Roundup ebenfalls sehr flächendeckend zum Einsatz kommt, sei es als klassisches Herbizid oder zur Abtötung von Getreide zwecks gleichmässiger Abreifung der Körner kurz vor der Ernte. Über den weltweiten Verbrauch gibt es nur Schätzungen, die teilweise eine Million Tonnen jährlich überschreiten. Allein in den USA wurden 2012 128’000 Tonnen eingesetzt, in der Schweiz geht man von rund 300 Tonnen jährlich aus, das ist über ein Drittel des gesamten Herbizidverbrauchs von 800 Tonnen jährlich. Hauptproblem dieses Grosseinsatzes ist neben den möglichen Gesundheitsschäden die Zunahme der Resistenzen gegen das Pestizid. Dieser Artikel spricht von weltweit 32 resistenten Unkräutern. Dies wiederum führt dazu, das in Ländern wie Argentinien alte verpönte Substanzen wie Atrazin und 2,4-D, ein vietnamerprobtes Entlaubungsmittel wieder verstärkt zum Einsatz kommen.

Weltweit haben die Neuigkeiten die Behörden zumindest ansatzweise aufgescheucht, selbst in den ansonsten sehr Pestizidfreundlichen USA warnt die  Umweltbehörde EPA unterdessen vor übermässigem Glyphosat-Einsatz und listet auf, was an Gesundheitsschäden sonst noch so alles droht durch Glyphosat: „Verstopfung der Lunge, Nierenschäden, Fortpflanzungseffekte.“ Nicht sonderlich vertrauenserweckend. Weiter zeigen diverse Studien verheerende Auswirkungen auf die Fauna, zum Beispiel Amphibien.

Was beabsichtigt man zu tun in heimischen Gefilden mit der problematischen Substanz? Vorläufig nichts, es liege erst die Kurzfassung der Studie vor und man kenne deren Grundlage nicht, heisst es beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Nichts gehört zum Thema Glyphosat hat man bisher aus bäuerlichen Kreisen, die den Löwenanteil der 300 Tonnen versprühen. Bei früheren Gelegenheiten, etwa als man vor Jahresfrist von der EAWAG damit konfrontiert wurde, dass Schweizer Oberflächengewässer mit einem „Pestizidcocktail“ dotiert sind hiess es, man müsse vertieft abklären, woher die Rückstände kämen und wie sie in die Flüsse gelangten. Kurze Zeit später betonte man nach einem nationalen Workshop zum Thema Pflanzenschutz, man dürfe diesen „nicht verteufeln“ und begründete den Bedarf mit dem Bedarf nach perfekter Ware in den Läden.

Dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht, ist eine Binsenwahrheit, auch für Biobauern nota bene. Aber es es reicht nicht, beim Bekanntwerden von Umweltschäden und Gesundheitsrisiken durch gewisse Substanzen die Hände in den Schoss zu legen und den Verzicht auf Massnahmen damit zu begründen, dass Konsumenten keine Äpfel mit Schorfflecken essen und dass die Hobbygärtner ebenfalls spritzen. Ich denke, dass es langsam Zeit wäre für ein etwas proaktiverer Umgang der Bauern mit diesem Problem, denn wenn es die Branche nicht selber tut, werden Behörden und Gesetzgeber früher oder später die Zügel anziehen und den Verbrauch von zB. Glyphosat einschränken, wenn nicht gar verbieten (so wie es die Pro Natura bereits fordert). Die Bauern werden dann wieder einmal am Pranger stehen als Umweltverschmutzer, die seit Jahren abwiegeln und nichts unternommen haben.

„Glyphosat macht Baby tot.“ Ja, das darf man

November 1, 2013

Glyphosat-BabyNach den Ferkeln kürzlich nochmal kurz nach Deutschland: Auch die bäuerliche Szene kann Shitstorm. Seit etwa zwei Tagen tobt auf Twitter und Youtube, in Zeitungen und auf Lobbyportalen agrarische Empörung.  Auslöser ist ein Video des deutschen Bundes für Umwelt und Naturschutz (kurz Bund). Mit diesem Filmchen (oben ein Still unten das Video) illustriert die NGO eine neue Kampagne unter dem Titel „Pestizide. Hergestellt um zu töten„. Im Visier hat Bund dabei primär Glyphosat (besser bekannt unter dem Monsanto-Markennamen Roundup).  Mit der Kampagne will der Bund erreichen, dass der Einsatz von Glyphosat in Hausgärten und die sogenannte Sikkation auf Bundesebene verboten werden. Dabei handelt es sich um die Behandlung von Kulturen kurz vor der Ernte, um so die Abreife zu beschleunigen.

Das Video ist keine Minute lang und zeigt kurz zusammengefasst, wie halb in der Erde eingegrabene Babys zuerst fröhlich mit Dreck und Stecklein spielen, nur um kurz darauf nach drohendem Grollen von einem Sprühflugzeug überflogen und eingenebelt zu werden. Dann der Titel der Kampagne: Pestizide. Hergestellt um zu töten.

Ist das geschmacklos? Ja, indirekt wirft der Bund den Bauern vor, mit ihren Praktiken Babys zu töten. Das ist ein ziemlich starkes Stück, ist doch bis heute ein fundierter Beweis noch ausstehend, dass Glyphosat effektiv Embryonen schädigt. Soweit ich im Bild bin, setzt die Mehrheit der Landwirte Pestizide so ein, dass sie damit weder sich selber noch die Umwelt schädigen, oder sie streben dies zumindest an. Zudem darf man dem Bund und den pestizidkritischen Konsumenten getrost unter die Nase reiben, dass eine Lebensmittelproduktion ohne Pestizide teurer ist. Und dass trotz dem Vorhandensein der Alternative, nämlich Bio, nur eine mickrige Minderheit bereit ist, mehr zu zahlen, um die eigenen Babys zu schützen. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch, dass selbst in Bio-Kreisen umstritten ist, ob es möglich wäre, die Welt mit Bio alleine zu ernähren.

Darf man trotzdem eine solche Kampagne machen? Ja, klar. Solange es der Industrie erlaubt ist, mit verharmlosender Propaganda so zu tun, als ob der Profit das nebensächlichste der Welt wäre (wie zum Beispiel hier) und als ob sie stattdessen prioritär die Welt retten und umfassend ernähren möchte, wird es auch einer NGO noch erlaubt sein, polemische PR zu betreiben. Ganz argumentenfrei steht der Bund nämlich keineswegs da, (obwohl man natürlich der Gerechtigkeit halber erwähnen muss, dass auch der Bund Geld verdienen muss, um seine Geschäftsstelle und Kampagnen zu finanzieren). Eine kürzliche Untersuchung des Verbands hat gezeigt, dass 70 Prozent der Urinproben von Konsumenten aus 18 europäischen Städten Glyphosat enthalten. Zudem gibt es zweifelsfrei Probleme mit dem massierten Einsatz des Produkts, vor allem in den Weltgegenden, wo es flächendeckend zum Einsatz kommt, zum Beispiel in Argentinien, wo sich ganze Dörfer im Protest gegen die rücksichtslose Applikation von Glyphosat aus der Luft wehren. Die Pueblos Fumigados (gespritzte Dörfer) sind zu einer kraftvollen Bewegung geworden, die auf dem besten Weg sind, Erfolge zu erringen, zum Beispiel grössere Sicherheitsabstände zwischen bewohnten Gegenden und gespritztem Kulturland. Diese Terraingewinne wurden nur möglich wegen offensichtlicher Zunahme von Gesundheitsschädigungen, zum Beispiel diverse Krebstypen und Fehlgeburten. Daran sind auch wir hier mitbeteiligt, gehört Europa doch zu den grossen Abnehmern lateinamerikanischer Soja.

Also, liebe empörte Bauern und Industrievertreter, nach Abebben der grössten Aufregung empfehle ich, die Energie für die Verminderung und die Verbesserung des Pestizideinsatzes sowie für den Ersatz der Importsoja durch einheimische Eiweissträger einzusetzen (gilt übrigens für die Schweizer Branche genauso). Das Video des Bund wird Euch vorkommen wie ein mildes Herbst-Lüftchen gegenüber dem Orkan, der sich erheben wird, sobald die erste Missbildung eines Embryos durch Glyphosat wissenschaftlich belegt ist.

Agrentina (2): „Ein grosser Fan von Glyphosat“

September 1, 2013

20130901-020015.jpg

Eduardo Brivio ist Landwirt und „ein grosser Anhänger von Glyphosat“, wie uns der 58-jährige beim gestrigen Besuch in Tandil mit entwaffnender Offenheit mitteilte.

Glyphosat ist der Wirkstoff im Totalherbizid, das unter dem Namen Roundup weltweite Bekanntheit errungen hat. Noch berühmter ist die Resistenz gegen die Substanz, welche der Hersteller Monsanto in Soja und andere Pflanzen eingebaut hat. Diese bewirkt, dass die Sojafelder in jedem Stadium mit Glyphosat gespritzt werden können, wlches dann sämtliches Unkraut vernichtet, nicht aber die Soja.

Die Technologie ist das Flaggschiff der grünen Gentechnologie und als solches in Europa höchst umstriitten, in Argentinien aber mittlerweile flächendeckend im Einsatz: rund 99% der stark gewachsenen konventionellen Sojaproduktion sind hier heute „Roundup-ready“.

Zu den wie erwähnt begeisterten Anwendern gehört auch Eduardo. Für ihn ist Glyphosat ein Fortschritt und die GVO-Technologie ein Segen. Dasselbe gilt für ihn für andere moderne Pflanzenschutzmittel, die in homöopathischen Dosen von wenigen Gramm pro Hektar flächendeckende Wirkung erzielen. Aber auch alte problematische Chemiekeulen wie Atrazin, Paraquat und 2,4-D (einem alten Verwandten des Entlaubungsmittels Agent Orange) setzt Eduardo recht bedenkenlos ein. „Ich bin jetzt 58 und lebe immer noch“, sagt er, um unsere Bedenken vom Tisch zu wischen.

Ich kann das nicht verstehen, aber verurteilen will ich diesen offenen Gesprächspartner, der uns stolz das Giftlager und arglos sene Kanistersammlung zeigt auch nicht. Eduardo steht stellvertretend für eine ganze Generation von Landwirten, nicht nur in Argentinien. Man hat ihnen seit früher Jugend eingetrichtert, dass die natürliche Umgebung der Kulturen eine feindliche ist, deren Angriffe es chemisch zu parieren gilt.

Dabei entwickelt sich eine Art Wettrüsten: Die Natur steckt die Schläge ein und entwickelt Gegenstrategien in Form von Resistenzen sowie neuen Krankheiten und Schädlingen. Längst gibt es gegen Roundup resistente Superunkräuter. Die Industrie tüftelt an neuen Waffen und die Bauern stehen wie Soldaten bereit, um diese einzusetzen. Sie sind in eine Abhängigkeit geraten, aus der sich nur schwierig entrinnen lässt. Früher oder später werden sie vermutlich erkennen müssen, dass der Kampf gegen die Natur nicht zu gewinnen ist und auf eine Kollaborationsstrategie umschwenken. Eduardo wird diesen Schritt kaum noch vollziehen, ich hoffe auf die nächste Generation.20130901-015057.jpg