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„Wir haben es satt!“ vs. „Wir machen euch satt!“

Januar 21, 2015

Berlin3Alle Jahre wieder: Dieser Tage steht in Berlin die Grüne Woche auf dem Programm, heuer schon zum 80. Mal. Fast schon ähnlich traditionell ist die Demonstration „Wir haben es satt“, die am vergangenen Samstag ihrerseits das Fünfjährige feiern konnte.

Berlin5Wie in allen Lebensbereichen der aufgeklärten kapitalistischen Gesellschaften ist auch im Demonstrationsbereich Wachstum wichtig. Deshalb schätzten die Organisatoren, eine bunte Koalition von Bioverbänden, Tierschützern, Umweltschutzorganisationen und Freihandelsgegnern die Teilnehmerzahl grosszügig auf 50’000.

Berlin4Das mag etwas hoch gegriffen sein, aber es war nichtsdestotrotz eindrücklich zu sehen, wie viele Leute „es“ satt haben. Das Neutrum steht in erster Linie die Agrarindustrie und daraus primär die Massentierhaltung, die in letzter Zeit in Deutschland arg unter Druck geraten ist. Zur Mobilisierung beigetragen haben neben dem üblichen Grundrauschen von Tierschutzprotesten diverse Skandale (von denen mit Neuland einer auch ein IP-Label betraf), eine etwas gar marktschreierische Artikelserie in der „Zeit“ über multiresistente Keime („Die Rache aus dem Stall“) und das Tierhaltungsverbot gegen den skrupellosen Grossmäster Adrianus Straathof, ja so heisst der leider.

Berlin7Stark empört ist man in Deutschland in weiten Kreisen aber auch über die Verhandlungen zum Abkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), auch weil es die einheimischen Spezialitäten gefährden könnte, wie der Agrarminister kürzlich einräumen musste. Darin sehen viele Deutsche weit über das linke politische Spektrum hinaus einen weiteren Beweis für agrarimperialitische Ambitionen der USA, zu denen auch der weiterhin hohe Druck in Sachen GVO-Saatgut gezählt wird.

Wir haben es sattDass sich auch die Parteien, allen voran die Grünen diese wachsende Volksbewegung zu nutzen machen wollen, versteht sich von selber. Sie marschierten angeführt vom Co-Fraktionschef Hofreiter und Alt-Landwirtschaftsministerin Künast weit vorne in der Demonstration mit. Die Grünen haben als erste politische Formation erkannt, dass der Unmut über den Zustand der Land- und Ernährungswirtschaft weit über den linken Rand des politischen Spektrums hinausreicht. Und haben Erfolg damit. Ein klares Indiz dafür ist, dass mittlerweile nicht weniger als sechs von total 14 Landwirtschaftsministerinnen und -Ministern in den Bundesländern grün sind. Dazu kommen drei SozialdemokratInnen und eine Vertreterin der Linken.

Berlin9Im Nachgang zur Demonstration hat mir eine deutsche Kollegin verdankenswerterweise Zutritt zu einer gut gesicherten Veranstaltung der Grünen im eindrücklichen Parlamentarierbürogebäude Paul-Löbe-Haus verschafft. Dort wurde das Thema „Fleisch für die Welt?“ debattiert. Am Pranger standen in Reden und Workshops nicht nur die Billigexporte von Fleisch nach China und – derzeit aus politischen Gründen unterbunden – nach Russland. „Die Land- und Ernährungswirtschaft ist die einzige im Land, die es sich leisten kann teuer zu importieren (z.B. Bioprodukte) und billig zu exportieren“, sagte der Biolandwirt und Landwirtschaftssprecher der grünen Fraktion, Ostendorff. So etwas, ergänzte er, wäre in jedem anderen Sektor undenkbar.

Wir machen euch satt3In der Tat sind die Verhältnisse recht drastisch. Trotz den kriselnden Exportanstrengungen sind die Preise etwa für Schweinefleisch derzeit tief im Keller, für das Kilo Schlachtgewicht erhält der deutsche Mäster bei konstanten oder steigenden Futterpreisen noch 1.25 Euro, vor Jahresfrist lag dieser noch bei ebenfalls schon knapp kostendeckenden 1.80. Ähnlich prekär ist die Lage bei der Milch, wo derzeit flächendeckend unter 30 Cent pro Liter ausgezahlt werden. Hier droht mit der Aufhebung der EU-Milchquote per 1. April eine weitere starke Zunahme des Preisdrucks. Grossen Anteil an diesen Verhältnissen hat in Deutschland auch der auf Discount fixierte Detailhandel, wo Milch und Fleisch zu Schleuderpreisen über die Theke gehen. Er könne nicht verstehen, wieso sich die Bauern von der Agrarindustrie derart vor sich hinschieben liessen, sagte der ebenfalls anwesenden Biobauer und grüne nordrhein-westfälischen Landestagsabgeordneten mit dem markanten Namen Norwich Rüsse.

Wir machen euch satt1Das ist eine durchaus legitime Frage. Sie richtet sich an die konventionellen Grossmäster und -milchproduzenten, die in den letzten Jahren unter starkem ökonomischem Druck und gemäss dem Motto „wachse oder weiche“ massiv investiert und haben. Diese sind aber keineswegs bereit, die Grünen als Kampfgenossen zu akzeptieren. Stattdessen sind sie unter dem Leitspruch „Wir machen euch satt!“ schon am Samstagvormittag zu einer eigenen Demo aufmarschiert, um sich gegen die ihrer Meinung nach unsachliche und -qualifizierte Meinungsmache gegen die moderne Tierhaltung zu wehren.

Sie gehen nämlich nicht zu Unrecht davon aus, dass sie für eine Mehrheit der Bevölkerung weiterhin nachfragegerecht produzieren, auch wenn Politik und Medien jetzt grobes Geschütz auffahren. In der Tat machen nämlich 50’000 „Schwalben“ vor dem Kanzleramt im Kampf gegen die Agrarindustrie noch keinen ökologischen Sommer. Otto und Ottilie Normalverbraucher im nördlichen Nachbarland betrachten billige Nahrungsmittel und vor allem Fleisch nach wie vor als Menschenrecht. Ansonsten wären die Discounter längst eingegangen. Wie dünn das politische Eis für ernährungstechnische Bevormundung ist, mussten die Grünen unlängst am eigenen Leib erfahren. Der nicht sonderlich radikale Vorschlag eines „Veggiedays“ in deutschen Kantinen brachte ihnen harsche Kritik und mutmasslich umfangreiche Stimmenverluste ein. Im vergangenen Herbst wurde die Idee des fleischlosen Tages dann ziemlich sang- und klanglos wieder begraben, beziehungsweise schlecht verdaut ausgeschieden. (Unterste zwei Bilder: Tatjana Kren, Video: Thomas Wengenroth/stallbesuch.de)

Wie Raili mit Sauerteig ein Business erbacken hat

Januar 18, 2014

Railis Kallavus mit Brot kleinDie Grüne Woche (IGW) in Berlin, wo ich dieser Tage wieder mal bin, hat heuer 1650 Aussteller und Ausstellerinnen. Da ist es natürlich schwierig den Überblick zu behalten. Deshalb hier statt irgendwelcher Gesamtbetrachtungen ein Schlaglicht auf Raili Kallavus aus Estland, neben der ich, der Zufall wollte es, an der Eröffnungsveranstaltung zu sitzen kam.

Sie hat mir eine interessante Geschichte erzählt: Ihre Jobs als Deutschehrerin an einem Gymnasium in Tartu und später als Consulterin für NGOs hat sie an den Nagel gehängt, es hat sie gelangweilt. Jetzt bäckt sie seit gut drei Jahren Brot. Mit grossem Erfolg. Die halbe Stadt deckt sich bei ihr mit Sauerteigbrot ein und das mit Gründen: Es schmeckt ausgezeichnet, wie die Degustation am Stand des diesjährigen IGW-Gastlandes aus dem Baltikum zeigte.

Raili Kallavus mit Sauerteig kleinRaili, die viel jüger aussieht, als sie ist, hat sich das Fachwissen im Selbststudium angeeignet. Aus Büchern und dem Internet. Dann hat ihr eine Bekannte etwas Sauerteig (wie das aussieht, siehe Bild rechts) zugesteckt und damit arbeitet sie seither. Verkaufsstelle ist ein als Genossenschaft organisierter Bauernmarkt in der zweitgrössten Stadt des Landes, interessanterweise angesiedelt im Foyer eines grossen Einkaufszentrums. Den Ofen stellt ihr das Einkaufszentrum zur Verfügung. Der Duft des frischen Brotes sei der ideale Lockstoff für die Konsumentinnen versichert sie schmunzelnd. Zu ihren KundInnen gehörten Leute „die viel Wert auf Gesundheit legen, die Handarbeit schätzen und einheimische Produkte mögen“, fährt sie fort. In estnischen Supermärkten stamme das Brot häufig aus anonymer Industrieproduktion mit unklarer Herkunft des Rohstoffs.

Das ist bei der umtriebigen Jungunternehmerin anders: Sie bezieht den Roggen aus lokaler Produktion von einem Bauern aus dem benachbarten Landkreis , den sie auf einem anderen Bauernmarkt kennengelernt hat. Die Sonnenblumen- und Kürbiskerne, mit denen sie einen Teil der Produktion verfeinert sei leider noch nicht aus dem Inland, da ein entsprechendes Angebot fehle, bedauert die spätberufene Bäckerin. Die handwerkliche Produktion führt dazu, dass ihr Brot nicht ganz billig ist, der 300g-Laib kostet 1 Euro 50, das verfeinerte Modell, welches neben Kernen auch Malz enthält, 2 Euro. Der Vorteil sei aber, dass ihr Brot neben den erwähnten Qualitäten auch deutlich länger frisch bleibt aus die Ware aus den Kaufhäusern.

Raili Kallavus macht einen sehr zufriedenen Eindruck, der berufliche Umstieg hat sich gelohnt, sie verdiene mehr als vorher, „wobei ich natürlich auch mehr arbeite als vorher“, wie sie ergänzt. Das Betreiben einer eigenen Firma mit dem Label Koduleib (estnisch Hausbrot), inspiriert von den Vornamen der Grosseltern, macht ihr ebenso Spass, wie das kneten des Teigs, das sei fast wie im Sandkasten spielen. Es sei aber nicht das Backen, das sie motiviert, sondern das Ergebnis: das Geld, die Dankbarkeit und die frohen Gesichter der Kundschaft, etwa dasjenige der Enkelin, wenn sie zufrieden Grossmutters Brot verspeist.
Railis Koduleib klein

Der Stachel im Fleisch der Industrielandwirtschaft

Januar 13, 2014

FleischatlasPünktlich zum „Davos der Landwirtschaft“, wie die nächste Woche stattfindende Internationale Grüne Woche in Berlin gern genannt wird, hat’s der BUND wieder getan: Die grösste deutsche Umweltschutzorganisation hat der Landwirtschaft zwei mittlere Bomben in den Bauernhofgarten geworfen.

Innert zwei Tagen hat der Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland eine Studie über den Hormoneinsatz in der Mastferkelproduktion und zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung und „Le Monde Diplomatique“ den Fleischatlas 2014 publiziert.

Dazu ein paar secce Bemerkungen (ich habe mir auf Anregung von einer zeitlich knapp dotierten Leserin vorgenommen, weniger episch zu schreiben heuer):

  • Beides sind sehr lesenswerte Publikationen, die wunde Punkte der modernen Landwirtschaft treffen.
  • Der BUND schafft es auch dank offenbar sehr guter Medienkontakte immer wieder, flächendeckend Salz in diese Wunden der Landwirtschaft zu streuen. Wie schon bei den Glyphosat-Babys vor einigen Monaten hagelt es Protest, namentlich gegen die Hormonstudie. Das zeigt, dass sich trotz einiger handwerklich fragwürdiger Punkte in der Studie, die etwa hier kritisiert werden, viele Schafe in der Herde getroffen fühlen. Zurecht, denn
  • die deutsche Fleischproduktion ist zu einem gigantischen Industriesektor herangewachsen, pro Jahr werden etwa gut 58 Millionen Schweine geschlachtet, damit ist unser nördliches Nachbarland der weltweit drittgrösste Produzent nach China und den USA, Spitzenränge nimmt man auch bei der Rindfleischproduktion und den Mastpoulets ein.
  • Fleischatlas TierzahlenDie Industrialisierung des Sektors hat zu einer Konzentration auf allen Ebenen: Immer weniger Produzenten mästen grössere Bestände für grössere Schlachtunternehmen, die ihre Ware zu womöglich immer tieferen Preise an immer grössere Supermarktketten liefern. Deutschland ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Hier verarbeiten im Schweinesektor gemäss dem Fleischatlas drei Betriebe 55 Prozent des Schlachtwerts, in den USA sind es 10 Konzerne, die 88 Prozent der Schweine verarbeiten (die Grafik rechts zeigt Zahlen für den weltweiten Markt).
  • Diese Entwicklung zieht diverse Probleme nach sich. Um nur einige zu nennen: Höherer Krankheitsdruck in Grossbeständen, steigender Hilfsstoffeinsatz auf den Feldern (für die forcierte Eiweissfutterproduktion) und Stall, Emissionen von Grossbetrieben, Tierschutzprobleme, Lohndruck in Grossschlachthäusern, erhöhter Zeitdruck und zahlreichen Fehlmanipulationen am lebenden Tier in Schlachthäusern, Schwinden von gewerblichen Fleischverarbeitern.
  • Ich staune immer wieder, mit welcher Verve sich die Landwirte und ihre Lobbyorganisationen dagegen wehren, die Probleme überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. In den integrierten Kreisläufen der Grosskonzerne, die Genetik, Futter und Infrastruktur liefern und die Tiere vollumfänglich übernehmen sind sie das schwächste Glied und stehen in extremer Abhängigkeit. Von freiem Unternehmertum, wie sie es sich gerne auf die Fahne schreiben, entfernen sich die sogenannte Urproduzenten immer weiter.
  • Der BUND ist für mich so etwas wie die EMMA einst, als sie dem Feminismus auf die Beine half. Nervt zwar immer wieder, aber für die Bewusstseinsbildung der Landwirte in Deutschland und darüber hinaus extrem wichtig. Ich warte auf den Ausbruch des Agrinismus.
  • Und in der Schweiz dürfte man in Sachen Landwirtschaft ruhig auch etwas mehr Lärm hören von Pro Natura, auch wenn die Verhältnisse noch um einiges idyllischer sind, als in Deutschland. Aber bei weitem nicht problemlos. (Illustrationen aus dem Fleischatlas)
    Fleischatlas Tierzahlen D

Diese Wahl wird nicht an der Urne entschieden

Januar 16, 2013

Pouletmasthalle in NiedersachsenIn Deutschland ist die Landwirtschaft zur Zeit ein ziemliches Politikum. Leider nicht im positiven Zusammenhang. Zwar wird die Grüne Woche, die am Donnerstag eröffnet wird, viele schöne Bilder von Politikern im Ess- und Trinkeinsatz inmitten von feschen Produzenten und Verarbeitern in die guten Stuben bringen. Im Mittelpunkt wird dabei wie immer die Landwirtschaftsministerin stehen. CSU-Hoffnungsträgerin Ilse Aigner steht aber nicht nur an den Ständen im Mittelpunkt, sondern vor allem im Fokus der Kritik von Linken und Grünen, die die Landwirtschaft und namentlich die Tierhaltung und ihre Exzesse im kommenden Bundestagswahlkampf ins Zentrum stellen wollen.
Folgerichtig hat die Frau Minister denn dieser Tage auch den Dinosaurier-Preis des Naturschutzbunds erhalten und zwar für „ihr Festhalten an einer umweltschädlichen Agrarpolitik und ihr enttäuschendes Engagement für ein besseres Tierschutzgesetz“. In Niedersachsen, wo am Wochenende Landtagswahlen anstehen, nehmen die Grünen einen Testlauf vor, wie heute die FAZ anhand des lokalen Widerstands gegen einen gigantischen Hähnchenschlachthof aufzeigt. Die Rede ist hier von einer „Agrarwende“, die nun dringend notwendig sei. In das gleiche Horn blasen auch die in einem breiten Bündnis agierenden Organisatoren der traditionellen Demonstration am Rande der Grünen Woche, die am kommenden Samstag unter dem Motto „Wir haben es satt!“ über die Bühne geht.
Der Einsatz der deutschen Umwelt- und Naturschützer für die Kreatur und eine umweltfreundliche Landwirtschaft ist löblich, nur wird sich weder an den niedersächsischen noch an den gesamtdeutschen Urnen entscheiden, ob es effektiv zu einer Agrarwende kommt. Vielmehr hängt dies davon ab, ob es die Konsumenten weiterhin normal finden, dass sie ihr Hähnchen zu 2 Euro 99 das Stück aus der Kühltheke fischen können, wie das im besagten Artikel geschildert wird. Das ist die Abstimmung mittels Einkaufswagen. Dabei sollten wir uns hüten, gönnerhaft Richtung Norden zu blicken. Auch in der Schweiz sieht es nicht viel besser aus. Das Pouletfleisch aus Labelproduktion muss man mit der Lupe suchen, während die Importe von wo auch immer, wie auch immer produziert bestens florieren. Von den Einkaufstouristen, die ennet der Grenze Poulets für 2.99 das Stück kaufen gar nicht zu reden. (Bild Theodor Barth/Laif/FAZ)

Grüne Woche(2): Lieber spät als nie fürs Vieh

Januar 23, 2012

Am Rande der Grünen Woche haben letzten Samstag in Berlin nach Angaben der Organisatoren rund 23000 Personen unter dem Motto „Wir haben es satt!“ gegen Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft demonstriert (Bild oben). Selbentags fand an der Messe eine hart geführte Diskussion zwischen dem Generalsekretär des Deutschen Bauerverbands (DBV), Helmut Born und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW), Johannes Remmel statt. Er ist im Wettbewerb der Würdenträger um den längsten Titel wohl weit vorne. Der Bandwurm zeigt aber vor allem die Prioritäten seiner rot-grünen Landesregierung. Remmler, selber ein Grüner, ist vor allem Umwelt- und Konsumentenschützer und die Bauern werden primär als Immissionäre betrachtet. Das zeigte sich im harten Schlagabtausch mit Born deutlich. Der DBV-Vertreter hatte einige Mühe, dem Minister zu erklären, warum 96,4% der Nordrhein-westfälischen Hähnchen während ihrer kurzen Lebenszeit Antibiotika verabreicht werden, wie eine Studie des Ministeriums zeigt. Remmlers Haltung steht in ziemlichem Kontrast zur Position der nationalen CSU-Agrarministerin Ilse Aigner aus dem ländlichen Bayern (Bild rechts). Sie hatte den Demonstranten schon bei der IGW-Eröffnungskonferenz vorgeworfen, sie kämpften in den Schlachten von gestern. Antibiotika würden nur noch im Krankheitsfall eingesetzt, die Förderung von Grossställen sei längst gekappt, der Tierschutz mache grosse Fortschritte. Aber warum erzähle ich das alles? Mir ist in den paar Tagen in Berlin aufgefallen, dass in Deutschland derzeit mit grossem Engagement eine Diskussion geführt wird, die mir als Schweizer schon etwas antiquiert vorkommt. Die industrielle Landwirtschaft war hier in den 80-er und 90-er Jahren ein grosses Thema, die Höchsttierbestände sind streng und der Tierschutz hat grosse Fortschritte gemacht. Ich habe dem Chef des Landwirtschaftsamts NRW jedenfalls mit einer gewissen Süffisanz und nicht ganz ohne Stolz empfohlen, er möge die Schweizer Agrarpolitik verfolgen, um dann zu wissen, was 15 Jahre später in Deutschland aktuell sein wird. Allzu hoch aufs Ross sollten wir aber trotzdem nicht sitzen. Erstens ist auch die Schweiz längst noch kein Paradies für Nutztiere. Zweitens sind die Deutschen schon deutlich weiter als viele andere EU-Länder, zum Beispiel beim Ausstieg aus der Hühner-Käfighaltung, der in der Bundesrepublik abgeschlossen ist, während in der Rest-EU laut Aigner noch 100 Millionen Hennen hinter Gittern sitzen. Drittens führen die deutschen Exponenten die Auseinandersetzung mit einer Eloquenz und einer Härte, von der man sich hierzulande auch noch ein Scheibchen abschneiden könnte. Zu oft sind sich hier Landwirtschaftsfilz und Behörden zu nahe und schonen sich, weil man sich kennt und lieber nicht weh tut. Die deutschen Diskussionen sind öfter frei von derlei Sensibilitäten und dehhalb aufschlussreicher. Und um einiges unterhaltsamer. (Bilder oben Hartmut Müller-Stauffenberg/Imago, mittleres Bild Grüne Woche/pd)