„Das kulinarische Erbe der Alpen“ ist ein gewichtiges Werk und hat meine zugegebenermassen limitierte Küchenwaage überfordert, da sie nur bis zwei Kilo anzeigt. Schätzungsweise 2,1 Kilo bringt der Band von Dominik Flammer und Fotograf Sylvan Müller auf die Waage. Und er ist jedes Gramm wert. Flammer ist mir schon vor ein paar Jahren mit seinem Standartwerk „Schweizer Käse“ aufgefallen, später sah ich ihn an einem Kurzseminar an der Zürcher Slow-Food-Messe. Schon bei seinen damaligen Ausführungen über Sauerkäse habe ich gedacht, dass sich da einer recht fundiert mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Jetzt doppelt Flammer nach, unterstützt von den starken aktuellen Bildern von Sylvan Müller und den eindrücklichen historischen Helgen, welche die Historikerin Monica Rottmeyer ausgegraben hat.
Man weiss gar nicht recht, wo anfangen. Am Besten beim Vorwort: „Geschmack überwindet jede Grenze und bleibt in der Erinnerung wie ein erster Kuss“, heisst es da. Ich mag mich ehrlich gesagt nicht mehr an meinen ersten Kuss erinnern, aber an Geschmäcker sehr wohl. Zum Beispiel an die legendären Trüffel-Nudeln beim Künstler Hofkunst, oder an Pas Bouillabaise, oder an Grossvatis unersetzlicher aber leider für immer aufgegessener Honig, oder an das absolut unvergessliche Carne Cruda beim grössten Fleischkoch aller Zeiten, der zum Glück auch noch ein guter Freund ist. Oder kürzlich, ich weiss es ist umwelttechnisch nicht so gut, aber es war nicht viel, an den rohen Lachs und Schwertfisch beim Helen, mit ein bisschen Reis, himmlisch.
Aber ich will nicht abschweifen, nur den Autoren recht geben, wenn sie weiter schreiben: „Von allen Sinnen gräbt sich unser Geschmack am hartnäckigsten in unser Erinnerungsvermögen ein. So tief, dass keine noch so raffinierte Geschmacksmanipulation ihn nachhaltig gefährden kann. Sofern wir bereit und in der Lage sind, uns auf diese Urgeschmäcker unseres kulinarischen Erbes überhaupt einzulassen.“ Dann geht es los, quer durch den Alpenbogen, von Beaufort d’Alpage im Westen bis zu dem alten Bohnensorten in den tschechischen Karpaten lassen die beiden nichts aus, das eine kulinarische Reise ins Gebirge lohnen würde.
Ich hatte leider bisher noch wenig Zeit, ins Detail zu gehen mit Lesen, dafür sollte man am besten eine Woche Ferien machen, wenn nicht zwei, kombiniert mit einer Spurensuche entlang des kulinarischen Erbes. Zu den Höhepunkten, von dem was ich bisher gesehen habe gehören die Doppelseiten, links das Produkt, rechts der Hersteller, oft auch mit dem Tierli bei sich, dass dann eines Tages zerlegt auf der linken Seite landet. Das gehört eben auch dazu, das Abschied nehmen und Metzgen, auch bei Ruben Lazzoni aus dem Aostatal, der das Titelbild ziert und dessen gemsfarbige Ziege nach dem Schlachten und Trocknen unter anderem eine Keule ergibt, die so aussieht, wie sie unvergessliche Geschmackserlebnisse hinterlassen könnte. Oder bei Jürgen Lochbihler aus dem oberbayrischen Warngau und seinem Murnau-Werdenfelser-Rind (gar nicht gewusst, dass es diese Rasse gibt, merci).
Viel mehr sage ich jetzt nicht mehr zu diesem Buch, mich dünkt fast, es sei zu gewichtig, um es da in paar Zeilen zu beschreiben. Man muss es irgendwie in den Fingern halten und schauen. Ernährungstypen, wie ich einer bin, kann ich es vorbehaltlos empfehlen. Der lieben Schenkerin sei hier noch einmal von Herzen gedankt.