Argentina, was für ein magisches Versprechen, was die Landwirtschaft angeht. Aber auch viele Negativschlagzeilen in letzter Zeit: Eine Invasion von Agrochemie-getriebenem Sojaanbau, eine Präsidentin, die mit üblen Exportsteuern die einheimischen Produzenten ruiniert sowie Fleischkonsumenten, die ihre karnivoren Qualitäten vernachlässigen und immer weniger Rindfleisch essen.
Höchste Zeit also für einen Augenschein. Der nächste Woche stattfindende Kongress des Internationalen Agrarjournalistenverbands IFAJ (mehr folgt) war mehr als ein guter Grund, die weite Reise unter die Flügel zu nehmen. Ich bin einige Tage vorher aufgebrochen, um mit meinem alten Agrarjournalisten-Kumpel David Eppenberger und Romano Paganini, einem jungen, nach Argentinien ausgewanderten Schweizer ein paar Betriebe zu besichtigen. Nach zwei Tagen in der Pampa ist mir aufgefallen, dass fast alle, die wir besucht haben ausserlandwirtschaftliche Quereinsteiger waren.
Das hat auch damit zu tun, dass man Landwirtschaft in Argentinien on the Job lernt. Die Landwirtschaftsschulen sind für Agronomen vorgesehen, aber eine Lehre in unserem Sinne existiert nicht. Zudem ist die Landwirtschaft hier ein Eldorado für Anhänger des freien Markts. Auf die Frage, ob sie der Staat in irgendeiner Weise unterstütze, pflegten die Bauern in bitteres Gelächter auszubrechen. Das Gegenteil sei der Fall, hiess es übereinstimmend. Die schmalen Gewinne an der Scholle würden systematisch abgeschöpft, um der klammen Bürokratie zugeführt zu werden. Die Bauern reagieren unterschiedlich auf diese Situation.
Damian Colucci (Bild ganz oben) ist 33 und lebt gemeinsam mit seiner Frau Mariana den Prinzipien von Masanobu Fukuoka nach. Der 2008 verstorbene japanische Permakultur-Vorreiter war seinerseits Quereinsteiger und wurde nach seiner Tätigkeit als Mikrobiologe zum Bewirtschafter. Kurz zusammengefasst propagierte er eine Landwirtschaft der Gelassenheit. Möglichst wenig Intervention, Pflanzen und Tiere dazu ertüchtigen, dass sie auch ohne Agrochemikalien gut gedeihen, innerbetriebliche Ernährungssouveränität und ein minimaler Maschinenpark. Er sät seine rund 70 Hektaren Acker mit Pferdegespannen (siehe Bild links, maximale Tagesleistung 5-6 Hektaren, Pflug maximal 1 ha pro Tag). Der Stadtbub Damian ist in Buenos Aires aufgewachsen, pilgerte als junger Mann zu Fukuoka und konnte dank finanzieller Unterstützung durch den Vater vor 12 Jahren in die Landwirtschaft einsteigen. Neben den Tieren aus seiner Weidemast verkauft er Mehl aus der eigenen Mühle, Eier und ab und zu andere Produkte.
Ganz anders arbeiten Edit und José Aleman (Bild Mitte), die südlich von Mar del Plata in der Pampa humeda (feuchte Pampa) Gemüse anbauen. Sie versorgen mit ihrem Gemüse die Grossmärkte in Buenos Aires und Mar del Plata. Vor 30 Jahren sind sie als praktisch mittellose Einwanderer aus Tarija in Bolivien nach Argentinien gekommen, heute bewirtschaften sie einen
intensiven Gemüsebetrieb von 30 Hektaren Grösse und haben sich dank ihrer Tüchtigkeit laut ihrem Nachbarn Mario, dem lokalen Gemüsebauberater ein stattliches Vermögen erarbeitet. Die Alemans stehen für ein interessantes Phänomen. In der Region Mar del Plata beherrschen Bolivianer mittlerweile einen Grossteil des Gemüsegeschäfts. In Tellerwäscher-, beziehungsweise Salatschneiderkarrieren haben sie sich von Landarbeitern zu Besitzern hochgearbeitet und in dieser Funktion die vorher marktbeherrschenden Italiener abgelöst.
Noch einmal ganz anders ist das Profil von Pablo, der uns seinen Familiennamen nicht mitgeteilt hat. Er nennt 10 Hektaren Land sein eigen und ist nicht ein eigentlicher Bewirtschafter sondern ein Dienstleister für die Bauern. Er hat Platz für 3000 Stück Vieh, besitzt aber kein einziges. Landwirte in der Umgebung liefern ihm gut 200 Kilo schwere Tiere, die er auf 320 bis maximal 350 Kilo aufmästet, bevor die Tiere dann in eines der Schlachthäuser der Region gebracht werden. Für seine Dienste lässt er sich mit 3 Peso pro Kilogramm Zuwachs abgelten, das sind rund 20 Prozent des Preises, den die Bauern pro Kilo Lebendgewicht im Schlachthof erhalten. Als Zahlung nimmt er auch Mais und Getreide von den Bauern entgegen. Die Überschüsse aus diesen Lieferungen lässt er dann zu Futtermitteln verarbeiten. Pablo informiert uns im breitesten kalifornischen Slang, ist er doch als Sohn eines Arztes teilweise in den USA aufgewachsen. Für den smarten Unternehmertyp ist die Landwirtschaft ein gutes Geschäft, sollte es nicht länger rentieren, würde er wohl emotionslos das Business wechseln. Das einzige, was ihn mit Damian verbindet, ist dass beide mit den in Argentinien am weitesten verbreiteten Rassen Black Angus und Hereford arbeiten.
Pablo, die Alemans und die Coluccis: Alle drei stehen sie für typische Phänomene in der argentinischen Landwirtschaft. Ersterer für die Industrialisierung der Landwirtschaft, für die auch die radikale Ausbreitung des Cashcrop-Anbaus namentlich der (GVO-)Soja im letzten Jahrzehnt ein typisches Beispiel darstellt. Zweitere für die Chancen, die sich in der zwar staatlich vernachlässigten aber gleichzeitig völlig liberalisierten Landwirtschaft für tüchtige Leute bieten und Letztere für die Reaktion auf Industrialisierung und Rationalisierung: Den Weg in die Selbstversorgung verbunden mit dem Rückzug in die Einsamkeit der grenzenlos gross scheinenenden Pampas.