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Global denken, lokal handeln – und produzieren

Juli 3, 2017

Hier wieder mal eine Analyse aus der BauernZeitung. Auslöser war das Pestizid-Bashing, das im Moment schwer en vogue ist. Ich habe noch noch selten so viele Reaktionen erhalten auf einen Text, mehrheitlich positiv, übrigens vereinzelt auch aus dem „Biokuchen“. Von dort gab es aber auch kritische Stimmen, so fragte man mich, was denn eigentlich mit meiner Biogesinnung passiert sei. Ich habe ihm dann geschrieben, ich hätte mich schon immer als kritischen Freund der Landwirtschaft, inkl. Bio verstanden.

Aber ist schon klar, dass sich die Perspektive etwas verschiebt, wenn man vom Bioblatt zum allgemeinen landwirtschaftlichen Wochenblatt wechselt. Nach wie vor liegt die Zahl der Biobewirtschafter bei rund 10 Prozent, knapp 90 Prozent verwenden ab und zu oder regelmässig Spritzmittel, die meisten denen ich begegne, sofern man das aus der journalistischen Distanz beurteilen kann, sehr risikobewusst.

Ich bin absolut für saubere Gewässer und Ahndung von Übergriffen und unsorgfältigem Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Was mich einfach ziemlich nervt sind die radikalen Ansätze von Leuten, die sich ein gut laufendes Thema ausgewählt haben, das sie bewirtschaften und sich so profilieren können. Dabei ist ihnen offenbar komplett egal, was sie damit bewirken. Darin unterscheiden sie sich – obschon meist weit links positioniert – kein bisschen von denjenigen Rechtsauslegern, die via Volksinitiativen stupide Forderungen in der Verfassung festschreiben wollen. Und ich mach mir ernsthaft Sorgen, dass wir unsere Landwirtschaft zu Tode pützerln, aber steht ja alles im Artikel. Hier online und hier noch zum direkt im Blog lesen:

Es vergeht kaum ein Tag ohne Attacken auf synthetische Pflanzenschutzmittel (PSM). Eine etwas unheimliche Allianz aus aufgeregten Journalisten, besorgten Forschern, machtbewussten Wasserlobbyisten, opportunistischen Detailhändlern, schlitzohrigen Fischern, radikalen Umweltschützern und bewegten Konsumenten geht derzeit mit vereinten Kräften auf die Landwirtschaft los und diskreditiert den Einsatz von PSM so gut, wie es geht.

Gleichzeitig profitiert jedes Interessengrüppchen auf seine Art. Die Medien bolzen Quote; Forscher, Wasserleute, Detaillisten und Naturschutzgruppen können sich als Umweltapostel profilieren; die Fischer lenken von ihren eigenen Problemen wie der selbst verschuldeten Knappheit der Fischbestände ab und den umweltbesorgten Konsumentinnen und Konsumenten fliegen Unterschriften für ihre Antipestizid-Initiativen zu.

Soll man sich darüber aufregen? Das nützt herzlich wenig. Die PSM-Diskussion ist geprägt durch viel Halbwissen, Emotionen und Eigennutz. Es bringt wenig, mit der gleichen Marktschreier-Mentalität aufzutreten. Die Landwirtschaft tut im Gegenteil gut daran, kühlen Kopf zu bewahren und den angriffsfreudigen PSM-Kritikern den Spiegel vorzuhalten und ein paar Fakten aufzutischen.

Grundsätzlich gibt es nichts einzuwenden gegen eine scharfe Beobachtung des Pflanzenschutzes. Es ist nicht gut, wenn Flüsse verschmutzt sind und Grundwasser verunreinigt wird. Hier hat sich aber in den letzten Jahrzehnten viel getan. PSM werden heute ungleich vorsichtiger eingesetzt, das gilt auch für den Schutz der ausbringenden Person. Zudem hat die Professionalität stark zugenommen; während früher auf praktisch jedem Betrieb eine Spritze stand, ist dieser Job heute vielfach in den Händen von Lohnunternehmern, die durch den täglichen Umgang mit den Spritzmitteln viel Know-how mitbringen.

Wenn weiterhin Grenzwerte überschritten werden, hat das in Einzelfällen mit mangelnder Sorgfalt zu tun, und diese Fehler gilt es weiter zu reduzieren. Der Löwenanteil der Aufregung geht aber zulasten der hypersensiblen Messmethoden, die Mikrogrammen eine Dimension geben, als schwämme der Grossteil der hiesigen Fische bereits auf dem Rücken. Wir verfügen in der Schweiz trotz intensiver Landwirtschaft sowie Gewerbe und Industrie, die übrigens auch nicht nur mit Hahnenwasser kochen, über sehr saubere Gewässer. Man springt sorgenlos in Flüsse und Seen, ein Verhalten, das ausländische Besucher immer wieder in Staunen versetzt. Ihnen käme das in der Heimat gar nicht in den Sinn.

Dass die Umweltschützer im eigenen Umfeld aktiv sind, ist trotzdem nachvollziehbar. Sie halten sich an das bewährte Weltretter-Motto «Global denken, lokal handeln». Wenn man irgendetwas zum Besseren verändern kann, dann höchstens vor der eigenen Türe. Nur denken sie das Sprüchli leider nicht fertig. Denn wer lokal handelt, sollte auch lokal produzieren.

Es dürfte kaum im Sinn der Anti-PSM-Koalition sein, wenn die sterile Reinhaltung unserer Bächlein auf Kosten der Gewässer ennet der Grenzen geht. Genau das wird aber passieren, wenn die ohnehin herausgeforderte Produktion hierzulande durch ein direktes oder indirektes Pestizidverbot weiter in die Defensive gedrängt würde: Die Inlandproduktion ginge zurück, die Importe nähmen zu. Wenn wir die Selbstversorgung in einem solchen Szenario einigermassen auf demselben Niveau halten möchten, bräuchte es einen sehr intensiven Biolandbau. Schon heute steht dieser aber seinerseits vor grossen Herausforderungen. Das in der Praxis immer noch alternativlose Fungizid Kupfer verbleibt als Schwermetall länger im Boden als jedes Pestizid. Und mit Gülle im Bach kann man innert Stunden derart verheerenden Schaden anrichten, dass ein paar Mikrogramm PSM daneben wie ein Nasenwässerchen wirken. Zudem hat der Biolandbau in Sachen Ressourceneffizienz eine schlecht geschützte Flanke.

Und so würde nach der vermeintlichen Lösung des Pestizidproblems zweifellos alsbald die nächste Sau durchs Dorf gejagt. Ob sie nun Ressourceneffizienz, Kraftfutterimport, Antibiotikaverbrauch, Tierschutz oder anders heisst. Die Besorgten aller Couleur müssen einfach aufpassen, dass sie unsere Landwirtschaft nicht zu Tode verschönern und plötzlich ratlos vor einem Scherbenhaufen stehen; komplett abhängig von Importen, bei denen es nichts mehr lokal zu handeln gibt.

 

„Glyphosat macht Baby tot.“ Ja, das darf man

November 1, 2013

Glyphosat-BabyNach den Ferkeln kürzlich nochmal kurz nach Deutschland: Auch die bäuerliche Szene kann Shitstorm. Seit etwa zwei Tagen tobt auf Twitter und Youtube, in Zeitungen und auf Lobbyportalen agrarische Empörung.  Auslöser ist ein Video des deutschen Bundes für Umwelt und Naturschutz (kurz Bund). Mit diesem Filmchen (oben ein Still unten das Video) illustriert die NGO eine neue Kampagne unter dem Titel „Pestizide. Hergestellt um zu töten„. Im Visier hat Bund dabei primär Glyphosat (besser bekannt unter dem Monsanto-Markennamen Roundup).  Mit der Kampagne will der Bund erreichen, dass der Einsatz von Glyphosat in Hausgärten und die sogenannte Sikkation auf Bundesebene verboten werden. Dabei handelt es sich um die Behandlung von Kulturen kurz vor der Ernte, um so die Abreife zu beschleunigen.

Das Video ist keine Minute lang und zeigt kurz zusammengefasst, wie halb in der Erde eingegrabene Babys zuerst fröhlich mit Dreck und Stecklein spielen, nur um kurz darauf nach drohendem Grollen von einem Sprühflugzeug überflogen und eingenebelt zu werden. Dann der Titel der Kampagne: Pestizide. Hergestellt um zu töten.

Ist das geschmacklos? Ja, indirekt wirft der Bund den Bauern vor, mit ihren Praktiken Babys zu töten. Das ist ein ziemlich starkes Stück, ist doch bis heute ein fundierter Beweis noch ausstehend, dass Glyphosat effektiv Embryonen schädigt. Soweit ich im Bild bin, setzt die Mehrheit der Landwirte Pestizide so ein, dass sie damit weder sich selber noch die Umwelt schädigen, oder sie streben dies zumindest an. Zudem darf man dem Bund und den pestizidkritischen Konsumenten getrost unter die Nase reiben, dass eine Lebensmittelproduktion ohne Pestizide teurer ist. Und dass trotz dem Vorhandensein der Alternative, nämlich Bio, nur eine mickrige Minderheit bereit ist, mehr zu zahlen, um die eigenen Babys zu schützen. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch, dass selbst in Bio-Kreisen umstritten ist, ob es möglich wäre, die Welt mit Bio alleine zu ernähren.

Darf man trotzdem eine solche Kampagne machen? Ja, klar. Solange es der Industrie erlaubt ist, mit verharmlosender Propaganda so zu tun, als ob der Profit das nebensächlichste der Welt wäre (wie zum Beispiel hier) und als ob sie stattdessen prioritär die Welt retten und umfassend ernähren möchte, wird es auch einer NGO noch erlaubt sein, polemische PR zu betreiben. Ganz argumentenfrei steht der Bund nämlich keineswegs da, (obwohl man natürlich der Gerechtigkeit halber erwähnen muss, dass auch der Bund Geld verdienen muss, um seine Geschäftsstelle und Kampagnen zu finanzieren). Eine kürzliche Untersuchung des Verbands hat gezeigt, dass 70 Prozent der Urinproben von Konsumenten aus 18 europäischen Städten Glyphosat enthalten. Zudem gibt es zweifelsfrei Probleme mit dem massierten Einsatz des Produkts, vor allem in den Weltgegenden, wo es flächendeckend zum Einsatz kommt, zum Beispiel in Argentinien, wo sich ganze Dörfer im Protest gegen die rücksichtslose Applikation von Glyphosat aus der Luft wehren. Die Pueblos Fumigados (gespritzte Dörfer) sind zu einer kraftvollen Bewegung geworden, die auf dem besten Weg sind, Erfolge zu erringen, zum Beispiel grössere Sicherheitsabstände zwischen bewohnten Gegenden und gespritztem Kulturland. Diese Terraingewinne wurden nur möglich wegen offensichtlicher Zunahme von Gesundheitsschädigungen, zum Beispiel diverse Krebstypen und Fehlgeburten. Daran sind auch wir hier mitbeteiligt, gehört Europa doch zu den grossen Abnehmern lateinamerikanischer Soja.

Also, liebe empörte Bauern und Industrievertreter, nach Abebben der grössten Aufregung empfehle ich, die Energie für die Verminderung und die Verbesserung des Pestizideinsatzes sowie für den Ersatz der Importsoja durch einheimische Eiweissträger einzusetzen (gilt übrigens für die Schweizer Branche genauso). Das Video des Bund wird Euch vorkommen wie ein mildes Herbst-Lüftchen gegenüber dem Orkan, der sich erheben wird, sobald die erste Missbildung eines Embryos durch Glyphosat wissenschaftlich belegt ist.

Agrentina (2): „Ein grosser Fan von Glyphosat“

September 1, 2013

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Eduardo Brivio ist Landwirt und „ein grosser Anhänger von Glyphosat“, wie uns der 58-jährige beim gestrigen Besuch in Tandil mit entwaffnender Offenheit mitteilte.

Glyphosat ist der Wirkstoff im Totalherbizid, das unter dem Namen Roundup weltweite Bekanntheit errungen hat. Noch berühmter ist die Resistenz gegen die Substanz, welche der Hersteller Monsanto in Soja und andere Pflanzen eingebaut hat. Diese bewirkt, dass die Sojafelder in jedem Stadium mit Glyphosat gespritzt werden können, wlches dann sämtliches Unkraut vernichtet, nicht aber die Soja.

Die Technologie ist das Flaggschiff der grünen Gentechnologie und als solches in Europa höchst umstriitten, in Argentinien aber mittlerweile flächendeckend im Einsatz: rund 99% der stark gewachsenen konventionellen Sojaproduktion sind hier heute „Roundup-ready“.

Zu den wie erwähnt begeisterten Anwendern gehört auch Eduardo. Für ihn ist Glyphosat ein Fortschritt und die GVO-Technologie ein Segen. Dasselbe gilt für ihn für andere moderne Pflanzenschutzmittel, die in homöopathischen Dosen von wenigen Gramm pro Hektar flächendeckende Wirkung erzielen. Aber auch alte problematische Chemiekeulen wie Atrazin, Paraquat und 2,4-D (einem alten Verwandten des Entlaubungsmittels Agent Orange) setzt Eduardo recht bedenkenlos ein. „Ich bin jetzt 58 und lebe immer noch“, sagt er, um unsere Bedenken vom Tisch zu wischen.

Ich kann das nicht verstehen, aber verurteilen will ich diesen offenen Gesprächspartner, der uns stolz das Giftlager und arglos sene Kanistersammlung zeigt auch nicht. Eduardo steht stellvertretend für eine ganze Generation von Landwirten, nicht nur in Argentinien. Man hat ihnen seit früher Jugend eingetrichtert, dass die natürliche Umgebung der Kulturen eine feindliche ist, deren Angriffe es chemisch zu parieren gilt.

Dabei entwickelt sich eine Art Wettrüsten: Die Natur steckt die Schläge ein und entwickelt Gegenstrategien in Form von Resistenzen sowie neuen Krankheiten und Schädlingen. Längst gibt es gegen Roundup resistente Superunkräuter. Die Industrie tüftelt an neuen Waffen und die Bauern stehen wie Soldaten bereit, um diese einzusetzen. Sie sind in eine Abhängigkeit geraten, aus der sich nur schwierig entrinnen lässt. Früher oder später werden sie vermutlich erkennen müssen, dass der Kampf gegen die Natur nicht zu gewinnen ist und auf eine Kollaborationsstrategie umschwenken. Eduardo wird diesen Schritt kaum noch vollziehen, ich hoffe auf die nächste Generation.20130901-015057.jpg