Posts Tagged ‘Schweineproduktion’

Die unzichtbaren Schweine van Holland

Mai 24, 2014

L1000414Letzte Woche war ich in Holland für die sogenannte Innovative Pig Production Tour, organisiert von holländischen und belgischen Agrarjournalistenkollegen und dem neuen europäischen Verband ENAJ. Die Visite war interessant aber ernüchternd. Innovativ heisst in Holland in erster Linie effizienter und rationeller, Nachhaltigkeit bezieht sich ausschliesslich auf Ökonomie.

Sneak previewDie Tour führte uns durch die südlichen Regionen Brabant und Limburg, wo ein Grossteil der 12 Millionen holländischen Schweine lebt (zum Vergleich: 1,5 Mio. in der Schweiz). Das würde man aber nicht merken, wenn man’s nicht wüsste. Man sieht nichts, hört nichts und riecht (fast) nichts von den Tieren. Klar sind die zahllosen Ställe auffällig, aber es könnte gerade so eine ausgedehnte Gewerbezone sein, die sich über Dutzende wenn nicht hunderte von Quadratkilometern erstreckt, wobei es den Holländern recht gut gelingt, ihre industrielle Tierhaltung mit Alleen, Baumgruppen, Wasserflächen, dekorativen Ponys und gepflegten Backsteinhäuschen zu kaschieren.

Agroblogger and pigGeruchlich ist man weitgehend abgeschottet von den Realitäten, da die Ställe, zumindest die Neueren und das sind die meisten, obligatorisch mit Luftwaschanlagen ausgestattet sein müssen, die nicht nur die Ammoniak- sondern auch die Feinstaubbelastung senken. Die Ställe, die wir besichtigt haben sind auch räumlich weitgehend abgeriegelt von der Aussenwelt. Aus hygienischen Gründen sind Besucher nur sehr restriktiv zugelassen und grössere Besuchergruppen wie die unserige, 25 Personen umfassende, sind logistisch praktisch nicht handlebar, da man vor dem Stallzutritt duschen muss.

WindowshotSomit ist man auf die Durchblicke von aussen angewiesen. Dazu bieten die 26 fürs Publikum zugelassenen Sichtställe (Zichtstal) Hand, beziehungsweise Auge. Was man da präsentiert bekommt ist nicht schockierend, aber auch nicht erfreulich. Haltung auf absolut minimalem Tierschutzniveau, unstrukturierte Buchten, kaum Beschäftigungsmöglichkeiten und – mit Ausnahme von Betrieben im Promillebereich – keine Einstreu.

Behind the windowEs geht mir nicht darum, die Holländer an den Pranger zu stellen. Ein Grossteil der Schweizer Schweine lebt unter ähnlichen Bedingungen, im EU-Vergleich ist das Haltungsniveau in Brabant, Limburg und Gelderland eher überdurchschnittlich. Was mich frappierte waren die Dimensionen, zwar kannte man die Verhältnisse aus Erzählungen und Fachmedien, aber wenn man dann vor einer Batterie von 90 Meter langen, fensterarmen bzw. -losen Hallen steht und weiss, dass darin Tausende von Schweinen gezeugt, ausgetragen, geboren, gesäugt und gemästet werden, dann ist das schon eindrücklich bis schaudererregend, selbst für einen Abgebrühten wie mich. Economies of scale am lebenden Objekt mit nüchternem Fokus auf Effizienz und Rentabilität – industrielle Landwirtschaft eben. Da leben wir schon noch ein bisschen im Heidiland.
Wartestall

Der Stachel im Fleisch der Industrielandwirtschaft

Januar 13, 2014

FleischatlasPünktlich zum „Davos der Landwirtschaft“, wie die nächste Woche stattfindende Internationale Grüne Woche in Berlin gern genannt wird, hat’s der BUND wieder getan: Die grösste deutsche Umweltschutzorganisation hat der Landwirtschaft zwei mittlere Bomben in den Bauernhofgarten geworfen.

Innert zwei Tagen hat der Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland eine Studie über den Hormoneinsatz in der Mastferkelproduktion und zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung und „Le Monde Diplomatique“ den Fleischatlas 2014 publiziert.

Dazu ein paar secce Bemerkungen (ich habe mir auf Anregung von einer zeitlich knapp dotierten Leserin vorgenommen, weniger episch zu schreiben heuer):

  • Beides sind sehr lesenswerte Publikationen, die wunde Punkte der modernen Landwirtschaft treffen.
  • Der BUND schafft es auch dank offenbar sehr guter Medienkontakte immer wieder, flächendeckend Salz in diese Wunden der Landwirtschaft zu streuen. Wie schon bei den Glyphosat-Babys vor einigen Monaten hagelt es Protest, namentlich gegen die Hormonstudie. Das zeigt, dass sich trotz einiger handwerklich fragwürdiger Punkte in der Studie, die etwa hier kritisiert werden, viele Schafe in der Herde getroffen fühlen. Zurecht, denn
  • die deutsche Fleischproduktion ist zu einem gigantischen Industriesektor herangewachsen, pro Jahr werden etwa gut 58 Millionen Schweine geschlachtet, damit ist unser nördliches Nachbarland der weltweit drittgrösste Produzent nach China und den USA, Spitzenränge nimmt man auch bei der Rindfleischproduktion und den Mastpoulets ein.
  • Fleischatlas TierzahlenDie Industrialisierung des Sektors hat zu einer Konzentration auf allen Ebenen: Immer weniger Produzenten mästen grössere Bestände für grössere Schlachtunternehmen, die ihre Ware zu womöglich immer tieferen Preise an immer grössere Supermarktketten liefern. Deutschland ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Hier verarbeiten im Schweinesektor gemäss dem Fleischatlas drei Betriebe 55 Prozent des Schlachtwerts, in den USA sind es 10 Konzerne, die 88 Prozent der Schweine verarbeiten (die Grafik rechts zeigt Zahlen für den weltweiten Markt).
  • Diese Entwicklung zieht diverse Probleme nach sich. Um nur einige zu nennen: Höherer Krankheitsdruck in Grossbeständen, steigender Hilfsstoffeinsatz auf den Feldern (für die forcierte Eiweissfutterproduktion) und Stall, Emissionen von Grossbetrieben, Tierschutzprobleme, Lohndruck in Grossschlachthäusern, erhöhter Zeitdruck und zahlreichen Fehlmanipulationen am lebenden Tier in Schlachthäusern, Schwinden von gewerblichen Fleischverarbeitern.
  • Ich staune immer wieder, mit welcher Verve sich die Landwirte und ihre Lobbyorganisationen dagegen wehren, die Probleme überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. In den integrierten Kreisläufen der Grosskonzerne, die Genetik, Futter und Infrastruktur liefern und die Tiere vollumfänglich übernehmen sind sie das schwächste Glied und stehen in extremer Abhängigkeit. Von freiem Unternehmertum, wie sie es sich gerne auf die Fahne schreiben, entfernen sich die sogenannte Urproduzenten immer weiter.
  • Der BUND ist für mich so etwas wie die EMMA einst, als sie dem Feminismus auf die Beine half. Nervt zwar immer wieder, aber für die Bewusstseinsbildung der Landwirte in Deutschland und darüber hinaus extrem wichtig. Ich warte auf den Ausbruch des Agrinismus.
  • Und in der Schweiz dürfte man in Sachen Landwirtschaft ruhig auch etwas mehr Lärm hören von Pro Natura, auch wenn die Verhältnisse noch um einiges idyllischer sind, als in Deutschland. Aber bei weitem nicht problemlos. (Illustrationen aus dem Fleischatlas)
    Fleischatlas Tierzahlen D

The inconvenient true price of a pork chop

Oktober 24, 2013

Salami in the pgilet Last night I became an impulse buyer. The german magazine „Der Spiegel“ had a most remarkable cover, a piglet with Salami inside. The title on the cover of the magazine translates „The Pork-System – How the Meatindustry is making us ill“ (the german word „Schweinesystem“ has an additional very negative metaphoric meaning, it suggests betrayal of the stakeholders in the system).

I’m writing this in English because the only free link to the article is the one to the english version and because I thought it might be interesting to see the leading german newsmagazines view for english speaking readers. For the Germanspeaking I have put it into Google-Translator, making it a journey from german via english back to german. This produces quite funny results: For example „Top-Genetik-Eber“ becomes „Top-genetischen Wildschwein“.

Anyway, the article is not especially funny at all. It tells the successstory of the german pig-business. „Factory Farming: The True Price of a Pork Chop“ is the title inside the magazine. Germany is producing 58 Mio. pigs a year. This makes the country the 3rd biggest exporter after China and the USA. And there’s a big domestic consumption: The roughly 82 Mio. germans eat 39 Kilos of pig meat a year in the average. 85 percent of the germans eat meat every day, four times as many as in 1850. So far so good for the meat industry. But the industrialisation of the business has a few dark sides (which are the same in many other countries):

  • The animals have to be absolute high performers. In the final four months of their half-year live they have to add 850 grams of weight a day. They live in tight spaces in growing stabulations. While the average farm had 101 animals only 20 years ago, this number has risen to 985 in 2012. There is though, some improvement in the animal welfare sector. The non-lactating sows have to be kept in groups, but only 73 percent of the farmers have implemented the new system yet.
  • The personnel in the slaughterhouse is payed lousily. They are not occupied by the slaugther enterprises but by eastern-europaen subcontractors that are paid by piece slaughtered. Result: 5.04 Euros an hour (before taxes). A trade unionist calls this „salary dumping“. If they were paid 12 Euros an hour, the Kilo Schnitzel would cost Euros 7.35 per Kilo instead of 7.10. Seems like nothing, but not in this system, where everything is counted down to the last dime.
  • The consumers get cheap meat but the costs are high: 50 Mio. m3 of liquid pig manure are threatening or already polluting their drinking water. The massive and partially preventive use of Antibiotics in the short life span of the pigs is producing resistant germs that will put their effect in humane medicine in danger. Last year 1746 tons of antibiotics were used in the german animal health sector. Double as much as for the use in human medicine. 40 Percent of the veterinarians working in the pig sector are carriers of resistant germs of the MRSA-Type.

And the farmers? Is the „Schweinesystem“ good for them? It can be so from an an economical point of view, at least short and mid term. But I bet that many of them don’t like the way their animals are treated as industrial goods. And how they themselves are pressed into the logics of an industrial system that has become like a huge machine, which treats the farmer as a small wheel, who has to turn and grow or get lost. The number of pigfarms has gone down from 264000 to 28000 in 20 years. Maybe it’s time for a big emancipation movement. No farmer should ever forget, that no retailer, no butcher, no cheesemaker and no baker will ever be able to produce a kilo of meat, milk or wheat without his work.