Die kaum genutzte Win-win-win-win-win-Chance

Die eierlegende Wollmilchsau gibt es bekanntlich ja nicht. Sehr wohl aber die ohne Kraftfutter Milch gebende Kuh: Am Mittwoch hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) die ersten Ergebnisse des Projekts „Feed no Food“ vorgestellt und damit auch einiges Medienecho erzeugt (zum Beispiel hier und hier). Die Resultate sind keine Überraschung: Kühe können auch ohne Kraftfutter (dabei handelt es sich um Getreidemischungen, die teilweise energetisch zusätzlich aufgewertet werden) bis zu 8000 Liter Milch pro Jahr geben. Die eingesparten Futterkosten vermögen die reduzierten Einnahmen aus der Milchproduktion zu decken. Daneben hat sich bestätigt, dass man mit der auf Grünfutter (Gras, Heu und Grassilage) beschränkten Diät nicht nur Futterkosten, sondern auch Tierarzthonorare sparen kann. Ohne Kraftfutter ernährte Kühe hatten in den FiBL-Versuchsreihen etwas bessere Werte bei der Konstitution und bei der Eutergesundheit, als die Vergleichsgruppe mit Kraftfutter. Diese Ergebnisse bestätigen, die Erkenntnisse, die man mit neuseeländischer Genetik sowohl in deren Heimatland, sowie auch in der Schweiz gewonnen hat.
Viel überraschender als das Resultat ist für mich der Fakt, dass im Milchbereich nur ein verschwindend kleiner Teil der Bauern auf eine reine Grasfütterung setzt. Mit dem System lassen sich nämlich einige Fliegen auf einen Schlag erledigen. Ergänzend zu den erwähnten Kosten-Vorteilen, punktet Grünland-basierte Landwirtschaft in weiteren Bereichen, die für das Image der Landwirtschaft wichtig sind. Wer den Tieren kein potenziell für die menschliche Ernährung geeignetes Getreide vorsetzt (eben „Feed no Food“), hilft damit zumindest indirekt, die prekäre Ernährungssituation eines nach wie vor grossen Teils der Weltbevölkerung zu lindern. Zudem tragen diese Bewirtschafter stärker als ihre Kraftfutter-Kollegen dazu bei, dass die grossen Gebiete der Schweiz, wo nur Gras wachsen kann (zirka ein Viertel der Oberfläche), auch längerfristig bewirtschaftet werden. Damit leisten sie einen Beitrag zum Erfüllen der Verfassungsgrundlage der hiesigen Bauern. Ein weiterer Punkt schliesslich ist, dass mit dem gesenkten Leistungsdruck bei den Kühen der Antibiotikaeinsatz reduziert und damit Resistenzen vorgebeugt werden kann. Unter dem Strich würde ich sagen ist „Feed no Food“ etwa eine Win-win-win-win-win-Situation. Warum also die Zurückhaltung im Primärsektor? Ein Grund dürfte sein, dass die Kraftfutterindustrie nicht nur mit den landwirtschaftlichen Organisationen eng verbandelt ist, sondern auch ein gewichtiger Inserent der Landwirtschaftsblätter ist. Deshalb geht man dort sehr spartanisch um mit dem Thema und reagiert eher gereizt auf die entsprechenden Forschungsergebnisse. Bin mal gespannt, was uns „Bauernzeitung“ und „Schweizer Bauer“ in den nächsten Ausgaben berichten werden… (Bild FiBL)     

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4 Antworten to “Die kaum genutzte Win-win-win-win-win-Chance”

  1. Jonas Says:

    Bevor du die Bauernzeitung und den Schweizer Bauer liest, wirf zuerst mal einen Blick in den LID-Mediendienst von morgen 😉

  2. ueli Says:

    1 blick in die welsche „agri“ (www.agrihebdo.ch) der woche 15 könnte zu augenreiben führen: „Les vaches doivent s’adapter au système“, low-input in england.

  3. Samuel Krähenbühl Says:

    Nun gut, ich kann nicht auf den Mund sitzen!

    Natürlich haben wir darüber berichtet – und zwar nicht zu knapp. Dabei gäbe es mehrere grosse Vorbehalte gegen die FIBL-Theorien:

    1. Die Wissenschaftlichkeit von FIBL-Studien zweifle ich mal grundsätzlich an. Zu abstrus sind die Prämissen und zu klar ist meist bereits das Resultat im Voraus.

    2. Wer Kühe, die 9000 kg Milch geben, ohne irgend eine Form von Kraftfutter. bzw. nur mit Raufutter füttert, dem sollte man schleunigst den Tierschutz vorbei schicken. Die Eiweissversorgung bekommt man mit dieser Fütterung vielleicht noch einigermassen hin, aber diese armen Kühe haben garantiert ein riesiges Energiedefizit.

    3. In der Praxis sind Leistungen bis 6000 kg ohne oder mit nur sehr wenig Kraftfutter, also bei einer strikt raufutterbezogenen Ration, realistisch. Solche Betriebe kenne ich und die funktionieren vorab mit den Originalen Rassen Simmentaler und Original Braunvieh. Es mag da ab und zu eine Kuh geben, die 7000 oder 8000 kg gibt, aber die ist dann schon bös am Limit.

    4. Gerade Du als NZZ-Redaktor, der Du quasi von Deinem Arbeitgeber auf eine FDP-freundliche Linie verpflichtet bist, solltest hier zweimal nachdenken: Du hast sicher auch schon mal was von einem Grenznutzen gehört? Der Grenznutzen, einer Kuh, welche nur Raufutter frisst, ein wenig Kraftfutter zu füttern, ist nämlich sehr gross. Auch bei einer eher extensiven Fütterungsstrategie lohnt es sich eigentlich immer, zumindest anfangs Laktation etwas Kraftfutter zu zu füttern. Das machen ja sogar auch die Vollweidepäpste! Die füttern gar nicht sehr viel weniger Kraftfutter, als der Durchschnitt der Schweizer Milchbauern.

    5. Und hiermit sind wir bei meiner letzten Bemerkung: Eine durchschnittliche Schweizer Milchkuh erhält nur gerade etwa 600 kg Kraftfutter pro Laktation. Die Schweizer Milchproduzenten (SMP) kamen im Jahr 2008 auf genau 556 Kilo pro Kuh und Jahr.
    In unseren Nachbarländern sind es rund 2000 kg! Was soll also das ganze Theater über unsere angeblich so kraftfutterintensive Fütterung? Gerade diejenigen Leute, welche unsere Landwirtschaft in die EU befördern wollen, sollten sich bewusst sein, dass es dann in der Tendenz ebenfalls in Richtung 2000 kg und nicht etwa gegen 0 ginge.

  4. adriankrebs Says:

    Danke für die markigen Worte, Samuel, mir gefällts, wenn klar Position bezogen wird, schade nur, dass man davon kein Wort im „Schweizer Bauer“ lesen konnte, zum Beispiel in einem Kommentar. Ein solcher Rundumschlag wäre für Eure Leser, oder mindestens einen Teil von ihnen wohl des guten zuviel. Habt Ihr Angst vor Abonnentenverlust oder an was liegt das?
    Zu Deinen Anmerkungen im Einzelnen:
    1. Dass Du FibL-Studien a priori nicht glaubst kann ich nicht recht nachvollziehen, mir scheint die Versuchsanlage in diesem Fall glaubwürdig und praxisnah.
    2./3. Da bin ich zuwenig Fütterungsspezialist, 9000 scheint mir ebenfalls hoch angesetzt, aber wenns 7000 sind, ist das immer noch genug.
    4./5. Ich habe nichts dagegen, wenn im Dienste des Grenznutzens das eine oder andere Kilo Kraftfutter verfüttert wird, aber der Anteil hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Als ich studierte vor 20 Jahren, da lag er bei schätzungsweise 5 bis 10 Prozent der Kraftfuttereinsatzes in beispielsweise Holland, heute sind wir bei über 25 Prozent angelangt, da muss man mir nicht mehr länger kommen mit der alten Leier von der Schweiz als Grasland. Dass wir im Vergleich zum Ausland noch etwas besser dastehen, entbindet uns nicht davon, uns Gedanken über die Probleme der Kraftfutter-Fütterung zu machen. Andernorts passiert das übrigens auch, wie Du dem Link von Ueli im vorherigen Kommentar entnehmen kannst.

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